Von den Schotten lernen
Ja, die Winter in den Alpen schwächeln. Speziell die Bedingungen zum Eisfallklettern haben sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Aber ich bin mir sicher, Winterbergsteigen hat Zukunft. Warum? Weil es jedem Alpinisten die Chance bietet, besondere Tage in den Bergen zu erleben – solche, die in Erinnerung bleiben. Sicher werden wieder kältere Winter kommen, auch wenn die Kälteperioden nicht mehr so lang sind wie noch vor zehn Jahren. Aber das ist nicht entscheidend. Gefragt ist Kreativität. Wir müssen von den Schotten lernen und unsere Spielplätze selbst definieren. Skitouren und Eisfallklettern sind dabei längst nicht alles. Höher gelegene Nordwände und alpine Grate weisen bei milderem Wetter oft passable Bedingungen für Winterklettereien auf. Und im Spätherbst, bevor allzuviel Schnee liegt, können felsige Anstiege, z. B. in den Dolomiten, oder auch Hochtouren bleibende Eindrücke hinterlassen. Die Auseinandersetzung mit Kälte, Einsamkeit und Gefahren wird uns motivieren, fordern und erfüllen. Lange, kalte Nächte bieten Raum für eine Reflexion unseres Treibens.
Winteralpinismus ist kein Ponyhof
Wir (Martin Birkmann, Vlada Savcenko, Eric Smolski und ich) haben ein paar Bilder aus Schottland mitgebracht: Schnappschüsse mit einer kleinen Knipse vom Einklettern in den Cairngorms, von langen Routen am Ben Nevis und vom Ravens Gully, einem tief eingeschnittenen Couloir im Gebiet Glen Coe. Ich denke, man kann auf den Bildern erkennen oder zumindest erahnen, welche Anforderungen der Winteralpinismus stellt. Die Orientierung ist wesentlich anspruchsvoller als im Sommer, hinzu kommt oft die Lawinengefahr, die eine überlegte Routenwahl nötig macht. Beim Klettern selbst ist zudem die Absicherung bzw. eher nicht vorhandene Absicherung immer ein großes Thema. Selbst wenn irgendwo Haken im Fels stecken: unter Schnee und Eis wird man sie kaum finden. Für Eisschrauben taugt das Eis oft nicht und Cams halten schlecht in vereisten Rissen. Auch bei der Sicherungstechnik sind also Kreativität und frisches Denken gefragt. Ein paar Beispiele: die Eisgeräte geben gute Anker ab, Peckers (Beaks) halten, wo kein Haken mehr funktioniert und Spectres funktionieren nicht nur im gefrorenen Gras, sondern auch in tiefen, brüchigen Felsrissen. Während in unregelmäßigen Kalkrissen Tricams funktionieren, machen sich in Schottland Offsetkeile und Hexentrics gut, die vorzugsweise mit dem Hammer festgeklopft werden. Eine gewisse handwerkliche Komponente lässt sich dabei nicht leugnen… Zurück zum Ravens Gully: Anders als am Ben Nevis fanden Martin und ich miese Bedingungen vor – viel Schnee, kaum Eis, schlechte Sicherungsmöglichkeiten. Am Abend erreichten wir den Gipfel des Buchaille Etive Mor. Ein paar Seillängen waren grenzwertig und ich hatte mir beim Hakenschlagen ordentlich auf den Finger geprügelt. Winteralpinismus ist eben kein Ponyhof, aber das ist auch gut so.









Bilder: Fritz Miller, Martin Birkmann