Wie wir Symptome von Unterkühlung und Frostbeulen erkennen und rechtzeitig handeln

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Besonders im Winter, doch auch in allen anderen Jahreszeiten können wir so stark von Kälte überrascht werden, dass sie uns zeitweise stark einschränkt. Im alpinen Raum haben wir den Vorteil, dass wir im Sommer nicht die große Kälte fürchten müssen. In Schottland oder in den skandinavischen Ländern kann auch im Hochsommer das Wetter schnell unangenehm werden. Der deutsche Extremsportler Savas Coban hat sich auf seinen Ultramarathons durch Peru ungewollt in heikle Situationen gebracht.

Unser Körper verliert Wärme, auch wenn wir in Bewegung sind, und sobald Schnee, Wind oder Regen herrschen und ausreichend Kleidung oder Energiezufuhr fehlen, kann es schnell gefährlich werden.

Portrait von Peter Paal. Foto: ÖGAHM
Portrait von Peter Paal. Foto: ÖGAHM

Für Euch habe ich mit dem Experten im deutschsprachigen Raum PD Dr. med. Peter Paal über ungewollte Unterkühlung, „akzidentielle Hypothermie“ und lokale Erfrierungen gesprochen.

Symptome einer Unterkühlung

Ab welcher Körpertemperatur sprechen wir von Unterkühlung?

Peter Paal: Die durchschnittliche Körpertemperatur von uns Menschen liegt über den Tag bei 37 bis 37,5 Grad Celsius. Wir sprechen von Kältestress, wenn die Körperkerntemperatur auf eine Temperatur von 37 bis 35 Grad Celsius fällt. Von einer ungewollten Unterkühlung beispielsweise durch einen Unfall oder bei zur starken Einwirkung von Kälte, Wind oder Regen spricht man, wenn die Körpertemperatur auf weniger als 35 Grad Celsius absinkt.

Wenn uns kalt wird, zittern wir erst einmal, um Wärme zu produzieren. Welche weiteren körperlichen Symptome können auftreten?

Peter Paal: Es hat sich gezeigt, dass wir uns nicht mehr so sehr am Vorhandensein des Kältezitterns als Zeichen einer Unterkühlung orientieren können. Da sind die Menschen zu verschieden und in bestimmten Situationen können sie nicht mehr zittern. Das Zuverlässigste ist, sich an das Bewusstsein der Person zu halten. Wenn kein Schädelhirntrauma vorliegt und die Person nicht unter Drogen steht, können wir uns auf das Vorhandensein des Bewusstseins verlassen. Ist die Person zum Beispiel noch wach und orientiert, aber sichtlich kühler am Körper oder durchnässt von Regen oder Schnee, sollten wir in Aktion treten, sie mit Nahrung und Wasser versorgen und zum Weitergehen animieren.

Maßnahmen bei festgestellter Unterkühlung

Was ist zu tun, wenn wir eine Person im Schnee auffinden, die gerade noch ansprechbar ist?

Peter Paal: Bevor wir Menschen aus einer gefährlichen Situation retten, ist es unabdingbar sicherzustellen, dass wir uns dabei nicht zusätzlich Gefahren aussetzen – die Sicherheit des Retters hat oberste Priorität. Zudem sollten wir sicherstellen, dass nicht relevante Verletzungen vorliegen durch Schauen, Fragen und parallel Abtasten. Man sollte den Rumpf, beispielsweise am Brustbein abtasten, um festzustellen, ob die Person auch zentral ausgekühlt ist. Ansprechen hilft die Sinne der Person zu aktivieren und sie wachzuhalten. Unsere Kleiderschichten sind unsere Wärmeschichten, trockene Schichten isolieren besser als nasse, deswegen ist trockene Kleidung wichtig.

Wir isolieren die Person weiter mit einem Biwaksack, Jacken oder Mützen. Wichtig ist eine Schicht zwischen dem kalten Boden und der Person, da sie zum kalten Boden hin am meisten Wärme verliert. Wenn die Person noch gehen kann, sollten wir sie in vor Wind- und Nässe geschützte Räume bringen z.B. in eine Schutzhütte. Wenn die Person nicht mehr gehen oder stehen kann und dazu verwirrt oder sogar schläfrig scheint oder gar nicht mehr zu wecken ist, haben wir schon kritische Stufen der Abkühlung erreicht. Hier sollten wir unverzüglich die Bergrettung rufen. Bei noch tieferer Abkühlung könnte ein durch Kälte verursachter Herzstillstand drohen.

Eine Person sollte bei Unterkühlung schnell aufgewärmt werden
Eine Person sollte bei Unterkühlung schnell aufgewärmt werden

Bei starker Unterkühlung fährt unser Körper in einen Sparmodus, aus dem wir auch noch herauskommen können, wenn unser Herz mal stillstand. Wie ist das möglich?

Peter Paal: Je kälter unser Körper wird, desto mehr schlafen wir ein und die Körperfunktionen nehmen ab. Erstmal ist das Abnehmen der Funktionen nichts grundlegend Falsches. In unserem Körper passiert dann weniger. Wir verbrauchen weniger Energie, weniger Sauerstoff und unser Bewusstsein wird immer mehr eingeschränkt. Auch kann es ab einer Körperkerntemperatur unter 30 Grad Celsius zu einem Herzstillstand kommen, der überlebt werden kann, wenn die Person direkt in ein spezielles Zentrum geflogen wird.

Maßnahmen vor Ort

Lässt sich eine Unterkühlung vor Ort behandeln?

Peter Paal: Bei Verunfallten vor Ort im Freien können wir die weitere Unterkühlung in der Regel nicht vermeiden, sondern nur verlangsamen. Fühlen sich Rumpf und Körper kühl an und ist die Person nicht mehr ganz bei Bewusstsein, müssen wir umgehend Hilfe holen, sodass sich schnellstmöglich Fachleute um die Person kümmern können. Bei einer schweren Unterkühlung können Laien leider grobe Fehler machen, wenn sie versuchen die Person aktiv zu erwärmen. Auch können Patientinnen und Patienten im Rettungsmittel weiter abkühlen, das nennen wir „Afterdrop“ und dies ist wiederum lebensgefährlich, wenn die Körpertemperatur unter 30°C abfällt.

Personen aus gefährlichen Gebieten bergen

Sprechen wir vom Alpenraum im Winter sind vor allem Lawinen eine Gefahr für uns. Welche Maßnahmen sind bei der Rettung von Personen besonders wichtig?

Peter Paal: Unfälle mit Lawinen sollten wir vermeiden. Eine gute Prävention und Tourenvorbereitung sind besser als alles andere. Bis vor ein paar Jahren dachten wir immer noch, dass der Mensch zuerst kalt ist und er dann in der Lawine einen Herzstillstand erleidet. Dies ist nicht so. Die meisten Menschen ersticken in der Lawine, solange sie noch warm sind und kühlen dann erst aus. Daher sollten wir darauf achten, dass wir mit erfahrenen Bergfreunden unterwegs sind, die bei der Lawinenrettung helfen können. Jeder der im ungeschützten Gelände außerhalb des gesicherten Pistenraumes unterwegs ist, sollte die Ausrüstung und das Wissen für Lawinenverschüttung und – Rettung mitführen bzw. haben. Die besten Chancen haben Verschüttete nämlich, wenn ihre Bergfreunde sie rasch finden können und sie die Basics der Suche und Rettung sowie die Erste-Hilfe beherrschen wie beispielsweise Herzdruckmassage und Beatmung.

Die meisten Opfer in der Lawine sterben durch zu wenig Sauerstoff. Nach nur fünf Minuten ohne Sauerstoff hat unser Gehirn so schwere Schäden, dass wir aus intensivmedizinischer Sicht nicht mehr viel bewirken können. Leider stirbt aktuell der Großteil der Verschütteten in einer Lawine an Sauerstoffmangel, gefolgt von schweren Verletzungen und nur ganz wenige an Unterkühlung.

Maßnahmen für nordische Länder

Auch beispielsweise in Schottland oder Skandinavien gibt es Lawinen und vor allem viele Unterkühlungen. In den Highlands kann die Temperatur in den Sommermonaten sehr schwanken, sodass Minusgerade in der Nacht entstehen, hinzukommt die hohe Luftfeuchtigkeit und ein weniger gutes Rettungsnetz als in Österreich oder Deutschland. Sind dort andere Maßnahmen zu empfehlen?

Peter Paal: Im entlegenen nordischen Raum wie Schottland, Skandinavien oder Grönland haben wir andere Wetterbedingungen, die schnell unwirtlich und gefährlich werden können. Oftmals kann bei der widrigen Witterung keine Hilfe aus der Luft kommen und innerhalb von 10 Minuten wie üblicherweise im Alpenraum vor Ort sein. Hier ist besonders zu empfehlen mit kleinen Touren anzufangen und sich an die neue Umgebung heranzutasten. Es hilft auch ein Blick auf und ein Talk mit den Leuten, die dort wohnen und auf eine Tour gehen. Wenn sie bei herrlichem Sonnenschein Goretex anziehen oder einpacken, sollten wir auch nicht die kurze Hose anlassen, obwohl kalendarisch Hochsommer ist. Auch bei 15 Grad Celsius können wir unterkühlen, wenn wir nicht ausreichend gegen Regen, Wind und Feuchtigkeit geschützt sind.

In Schottland kann es im Winter sehr kalt werden.
In Schottland kann es im Winter sehr kalt werden.

Vorbeugende Maßnahmen gegen Unterkühlung

In der kalten Jahreszeit sind für viele Menschen kühle Hände oder Füße normal, was ist die ideale Bekleidung für eine Wintertour?

Peter Paal: Grundsätzlich haben Menschen in ihrem Leben einen unterschiedlich aktiven Stoffwechsel und somit eine andere Wärmeproduktion. Ältere Menschen oder Kranke kühlen in der Regel früher aus. Auch Personen, die besonders dünn und lang sind, frieren oft schneller. Die ideale Kleidung ist immer wetterabhängig zu wählen. Wenn kein Sturm herrscht und wenig Wind geht, reicht Funktionsbekleidung. Bei Wind und Regen ist es wichtig eine Jacke zu wählen, die wind – und wasserdicht ist. Wir sollten in unserer Kälteschutzkleidung so wenig schwitzen wie möglich, da wir sonst von innen nass werden. Die Kleidungsdicke und -qualität ist also entsprechend der Außentemperatur, dem Wetter und der körperlichen Belastung zu wählen und im Rahmen der Tour evtl. auch wiederholt anzupassen. Wenn wir eine größere Tour planen, ist es sinnvoll weitere trockene Wechselkleidung einzupacken. Die Kleidung sollte locker am Körper sitzen und die Schuhe nicht zu eng oder neu sein.

Ob in Schottland oder in Österreich: wir können uns hier wie dort Erfrierungen an einzelnen Körperteilen hinzuziehen. Was kann ich tun, wenn ich diese zum Beispiel an den Zehen bereits während einer Tour bemerke?

Peter Paal: Gerade im Extremsportbereich oder bei zu engagierten Hobbysportlerinnen und -Sportlern kann es zu Problemen kommen, da der Leistungsdruck sehr stark ist. Auch im militärischen Bereich treten schwerere Erfrierungen wiederholt auf. Generell ist es ratsam, die Tour abzubrechen und sich aufzuwärmen. Wenn das Wetter umschlägt und oben am Berg tiefe Minusgerade vorhergesagt werden, ist eine kleinere Tour im Tal eine gute Ausweichmöglichkeit. Glücklicherweise kommen im österreichischen Alpenraum nicht mehr viele Erfrierungen vor. Das können wir durch das entsprechende Vorbeugungswissen, gutes Equipment und die gute Hüttenabdeckung erklären. Da haben wir im Vergleich zu anderen Regionen eine privilegierte Position.

Frostbeulen als Symptom

Bei schweren Erfrierungen entstehen sogenannte Frostbeulen. Was passiert dabei in unserem Körper?

Peter Paal: Frostbeulen entstehen, wenn die Temperatur im Gewebe auf unter null Grad Celsius absinkt. Das passiert im Kalten bevorzugt bei exponierten Körperteilen wie Fingern, Zehen oder Ohren und der Nasenspitze. Das Wasser in den Zellen verändert seinen Zustand und wird kristallförmig. Eis braucht mehr Volumen als flüssiges Wasser. Dadurch platzen unsere Zellen, denn das Volumen des Wassers ist jetzt größer. Hinzukommt die Engstellung der Gefäße, was zu einem Blutstau und der Ausbildung von Blutgerinnseln führen kann. Damit ist dann das Gewebe nicht mehr durch Sauerstoff versorgt und es kann absterben. Bei der Wiedererwärmung kommt es oft zu starken Schmerzen, und erst über Tage stellt sich heraus, wie schwer das betroffene Gewebe geschädigt worden ist. Wenn die Beulen nur mit Wasser gefüllt sind, sind die Gefäße noch intakt. Sofern auch Blut in den Blasen ist, ist die Erfrierung schwerwiegender.

Wann sollten wir eine Praxis oder Ambulanz aufsuchen?

Peter Paal: Wenn wir von einer Tour heimkommen und unsere Zehen nach einiger Zeit noch taub oder rot, blau und schmerzhaft sind, sollten wir zur medizinischen Abklärung ein Krankenhaus aufsuchen. Spätestens wenn sich Blasen bilden, ist es anzuraten medizinisch betreut und behandelt zu werden. Wichtig ist, dass wir die Körperteile, ähnlich wie bei stark unterkühlten Menschen, nicht starker aktiver Wärme über 40°C aussetzen, wie zum Beispiel heißen Wärmflaschen oder Wärmekissen. Die beste Therapie lokaler Erfrierungen ist möglich, wenn man innerhalb von 24 Stunden die entsprechenden Maßnahmen einleitet.

Unterkühlung im Extremsport

Beim Zugspitzlauf vor einigen Jahren und beim Ultramarathon in China 2021 kam es zu vielen tragischen Todesfällen, da die Athleten unzureichend auf die kalten Temperaturen und die Nässe vorbereitet waren. Auch der deutsche Extremsportler Savas Coban rennt bzw. taumelt bei seinem Ultramarathon in Peru durch den Schneesturm, bevor er entscheidet, mit dem Auto des Filmteams wieder hinunterzufahren und rettet so wahrscheinlich gerade rechtzeitig sein eigenes Leben. Sollte hier mehr Aufklärung stattfinden?

Peter Paal: Wenn die Sportlerinnen und Sportler viel unterwegs sind, kann es passieren, dass sie nicht genügend Blutzucker haben. Sie sind so erschöpft, dass sie nicht mehr zittern können und zusammenbrechen. Bei dem Zugspitzlauf waren die Läufer zu dünn bekleidet. Sie sind in Höhen gekommen, in denen der Regen zu Schnee wurde und dazu noch ein eisiger Wind wehte. Sie haben durch ihre körperliche Anstrengung und die starke Kälteexposition mehr Wärme verloren, als der Körper trotz großer Anstrengung produzieren konnte. In der Regel sollten solche extremen Bedingungen trainiert und mit medizinischen Teams begleitet werden. Entsprechende Rennen müssen durch die Rennleitung geplant, gesichert und bei Bedarf auch abgebrochen werden. Sonst kann es zu tragischen Todesfällen kommen, dies ist unbedingt zu verhindern.

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Bergfreundin Anna

Mein schönstes Erlebnis war die Gletschertour im Mount Cook Nationalpark in Neuseeland. Sonst freue ich mich immer auf eine warme Hütte nach einer langen Tour!

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