Für viele ist der jährliche Skiurlaub ein stets wiederkehrendes, oft freudig erwartetes Ereignis, das allerdings meist eher (bzw. vielleicht sogar lieber?) nicht hinterfragt wird ob seiner Nachhaltigkeit und den Auswirkungen, die das Ganze auf die Natur, auch außerhalb der Saison, hat.
Angesichts gehäuft auftretender Blechlawinen-Gefahr in einschlägigen Wintersportgebieten der Alpen rund um die winterlichen Wochenenden, dem exzessiven Einsatz von (Kunst-)Schneekanonen und expandierenden Skigebieten ist es aber wünschenswert, auch diesen Themen den ein oder anderen Gedanken zu widmen.
Und wir wären nicht die Bergfreunde, wenn wir das nicht an anderer Stelle bereits getan hätten: zum Beispiel hat sich Bergfreundin Nadine mit den Möglichkeiten eines nachhaltigen Ski- beziehungsweise Winterurlaubs beschäftigt. Und wie bei diesem Beitrag geht es auch hier nicht darum, pauschal gegen Skiurlaube zu wettern oder für deren Abschaffung zu argumentieren, sondern insbesondere auf die Problematik expandierender Skigebiete hinzuweisen.
Patagonias Countrymanager für Deutschland und Österreich, Mick Austermühle und die Skifahrerin Lena Stoffel haben uns in unserem Podcast “Grat raus” ein superspendendes Interview zum Thema Skigebiete gegeben. Hört rein!
Zusammenschlüsse von Skigebieten
Im Rahmen dieses Beitrages soll es also vornehmlich um die Thematik der Zusammenlegung von Skigebieten, beispielsweise den Bau von sogenannten Skischaukeln, gehen. Diese schaffen Verbindungen zwischen in verschiedenen Tälern liegenden Skigebieten. Solche Unternehmungen haben natürlich in der Regel raumgreifenden Charakter und führen zwangsläufig zur Erschließung bislang unberührter Gebiete.
Warum macht man das?
Die Antwort ist recht einfach: weil man sich dadurch höhere Profite aus dem Wintersport-Tourismus verspricht. Die (für die Betreiber) dadurch entstehenden wirtschaftlichen Synergien kehren sich für Umwelt, Natur und Klimaentwicklung allerdings ganz direkt in ihr Gegenteil. Denn zunächst bedeutet so ein Projekt die Einrichtung einer Großbaustelle, und das in diesem Fall in einem empfindlichen Hochgebirgs-Ökosystem. In Österreich gibt es dafür ein gutes Beispiel, auf das ich hier näher eingehen möchte:
Das Beispiel von Pitztal und Ötztal
Exemplarisch für das Thema steht die vordem geplante Fusion der Skigebiete von Pitztal und Ötztal in den Tiroler Alpen. In dem Fall ging es um ein – nochmals empfindlicheres – Gletschergebiet, das für den Wintersport erschlossen werden sollte. Profitiert hätten davon, wie oben bereits angedeutet, die Liftbetreiber, und in weiterer Folge sicher auch die Tourismus-Branche bzw. -Lobby als Ganzes.
Und wenn dann auch noch Verflechtungen zwischen Tourismus-Unternehmen und Politik bestehen, entsteht schnell eine problematische Gemengelage, in der Entscheidungsprozesse oft nicht mehr wirklich transparent und nachvollziehbar sind.
Dokumentation “Vanishing Lines” von Patagonia
Über dieses Thema, und vor allen Dingen über den Protest aus der Bevölkerung gegen die Pläne, haben Patagonia die sehenswerte Dokumentation Vanishing Lines gedreht. Patagonia können als Alleinstellungsmerkmal unter den Herstellern von Outdoorbekleidung und -Ausrüstung auf ihre umfassenden Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz, sowie eine kritische Einstellung zum Konzept bedingungslosen ökonomischen Wachstums verweisen.
Über die unterschiedlichen Bemühungen des Unternehmens gibt es bereits einen lesenswerten Beitrag zu Patagonias Nachhaltigkeitsprogramm. Daher ist der Einsatz von Patagonia für diese Sache so folgerichtig wie begrüßenswert, und ohne Zweifel hat der Film dazu beigetragen, die Thematik einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rücken.
Und es bleibt zu hoffen, dass andere Outdoor- Marken nachziehen und ebenfalls derart konsequent Flagge zeigen für den Schutz und Erhalt unberührter Naturlandschaften.
Ablehnung nach Volksbefragung
Mittlerweile ist die Zusammenlegung der Skigebiete von Pitz- und Ötztal gescheitert: das Projekt wurde, nachdem bei einer Volksbefragung am 17. 7. 2022 eine knappe Mehrheit der Anwohner im Pitztal dagegen gestimmt hatte, abgelehnt. Hilfreich war dabei sicher auch die Informationskampagne des Alpenvereins, verschiedener NGOs und Naturschützer, die vor den Folgen des Eingriffes gewarnt hatten.
Schließlich konnte eine von der Bürgerinitiative Feldring gestartete Petition rund 168.000 Unterschriften gegen das Projekt sammeln.
Auswirkungen des Projektes im Falle der Durchführung
Wäre das Unterfangen durchgeführt worden, hätte das die Entstehung des größten Gletscherskigebietes Europas bedeutet. Es wären im Zuge dessen 64 ha neue Pistenfläche dazu gekommen, von denen sich wiederum 95% auf Gletschern befunden hätten. Das Resultat wäre einerseits ein beispielloses XXL-Skigebiet, und andererseits die totale Zerstörung einer bislang nahezu unberührten Hochgebirgslandschaft gewesen.
Lebendige Gletscher
Und wer denkt, dass ein Gletscher nur aus “totem” Eis besteht, sei an dieser Stelle auf seinen gnadenlosen Irrtum hingewiesen: laut Dr. Birgit Sattler (Ökologin an der Universität Innsbruck mit Forschungsschwerpunkt Mikroorganismen im Eis) beherbergt selbst 1ml Schmelzwasser aus dem Gletscher zahllose Lebewesen: Bakterien, Algen, Pilze und andere Kleinstlebewesen, die für weitere Nahrungsketten eben auch essentiell sind, gerade in diesem hochsensiblen Lebensraum.
Das dort herrschende, ohnehin prekäre und fragile ökologische Gleichgewicht ist ziemlich schnell ge- beziehungsweise auch zerstört. Denn bei sensiblen Ökosystemen reicht oft eine auf den ersten Blick unscheinbare Ursache, um einen Dominoeffekt auszulösen, der dann unter Umständen katastrophale Auswirkungen haben kann. Von externen Schocks regenerieren sich solche Biotope – wenn überhaupt – nur extrem langsam.
Und neben den offensichtlichen Auswirkungen des Klimawandels sind eben direkte menschliche Eingriffe in Form der Erschließung hochalpiner Zonen in der Hauptsache verantwortlich für etwaige Schieflagen. Frau Dr. Sattler formuliert im Film entsprechend auch den Wunsch, das hochalpine Gletschergebiet als eine schützenswerte Naturlandschaft und nicht rein als auszubeutende Wirtschaftsmasse zu begreifen.
Wintersportler und -Urlauber mit Interesse an nachhaltig aufgestellten Ferienzielen
Neben den Ortsansässigen, die dem Raubbau an der Natur kritisch gegenüberstehen, und vielleicht auch nicht unbedingt einen weiteren Ausbau des Tourismus insgesamt befürworten, gibt es auch noch eine andere Gruppe, die zwar nicht unmittelbar betroffen ist, solchen Vorhaben aber dennoch ebenfalls kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Das sind Wintersportler (und Urlauber generell), die Interesse an nachhaltig aufgestellten Ferienzielen haben.
Ein neuer Urlauber-Typus?
Handelt es sich hierbei um einen neuen Urlauber-Typus? Achtung, subjektive Einschätzung: Ich denke eigentlich nicht. Denn es gab schon immer Menschen, die eher “leise”, vielleicht etwas weniger spektakuläre, aber eben auch unberührtere Reiseziele bevorzugt angesteuert haben; im Winter und auch in den restlichen Jahreszeiten.
Schöne Gebiete mit weniger Infrastruktur, ohne Bettenburgen, dafür mit kleinen, privaten Unterkünften: das alles gibt es ja tatsächlich! Und heute sind solche Perlen durchaus leichter zu finden als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten. Allerdings ist das Thema der Nachhaltigkeit derzeit, vor allem auch angesichts der spürbaren Folgen des Klimawandels, der Überbevölkerung und der verschiedentlich begründeten Ressourcenknappheit deutlich präsenter als jemals zuvor.
Dies mag auf den einen oder die andere ebenfalls Eindruck machen und ein Umdenken in Bezug auf die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen und die vielfältigen Belastungen der Umwelt durch den Menschen auslösen.
Und vielleicht hat die Omnipräsenz von Austausch und Informationen ja in dieser Hinsicht auch ihr Gutes: denn so, wie von Social-Media-Junkies jeder fotografierte Stein samt Koordinaten auf Instagram gepostet wird, können sich eben auch Informationen über Naturräume, Urlaubsziele, und was wo falsch läuft verbreiten. Das ermöglicht dem mündigen Freiluft-Enthusiasten dann eine Auswahl seiner Reisedestination auch nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit.
The idea of wilderness neeeds no defense. It only needs more defenders.
Edward Abbey
Braucht es Neuerschließungen, um der Nachfrage Herr zu werden?
Wenn man sich vor Augen hält, wie viele Skigebiete es in den Alpen ohnehin schon gibt, kann man diese Frage klar verneinen. Laut skiresort.de sind es bereits mehr als 1100, die auf weit über 8000 Liften Zugang zu insgesamt knapp 27.000 Kilometern Skipiste bieten!
Entsprechend lautet auch das Fazit der in Vanishing Lines interviewten Wintersportler (Lena Stoffel, Skifahrerin, und Mitch Tölderer, Snowboarder): es gibt ausreichend Infrastruktur, Lifte und Pistenkilometer; und das bei bereits abnehmender Zahl an Skifahrern/Wintersportlern. Entsprechend stellt Benjamin Stern vom österreichischen Alpenverein im Film auch die Frage, für wen das alles eigentlich gebaut werden soll, und muss die Antwort doch schuldig bleiben, weil ihm niemand einfällt!
Resümee
Unterm Strich kann man festhalten, dass die vorhandenen Skigebiete bereits ausreichend groß sind, und es auch genügend Pistenkilometer gibt. Eine weitere Expansion (oder, wie Tölderer im Video treffend sagt, Metastasierung) bestehender Skigebiete ist deshalb weder nötig noch wünschenswert, und letztlich profitiert auch niemand außer den Betreibern wirklich davon; aber die Natur würde irreparablen Schaden nehmen, und das können wir uns heutzutage keinesfalls mehr leisten.
Patagonias Verdienst ist, mit der Herstellung und Veröffentlichung des Films nochmal mehr Öffentlichkeit für die Problematik geschaffen zu haben. Das trägt hoffentlich dazu bei, ein stärkeres Bewusstsein für die Auswirkungen, die unser Freizeitverhalten haben kann, zu entwickeln.