„Ich konnte eigentlich gar nichts mehr, nicht gehen, nicht reden, nicht essen.“ Diese harten Worte kommen von Philipp – genannt Phil – Hrozek. Ein langer Weg liegt vor dem Kletterer, nachdem er im September 2016 einen schlimmen Autounfall hat. An diesem Tag ändert sich schlagartig alles für Phil, sein Leben hing am seidenen Faden. Nach dem Unfall auf regennasser Straße ist er zwar nicht querschnittsgelähmt, jedoch ist die Liste seiner Leiden lang: Phil leidet unter erheblichen Bewusstseinsstörungen, einer Lähmung der Augenmuskeln sowie starken Zerrungen und Nervenabrissen, die von seiner Schulter bis zur Hand reichen. Sein rechter Arm ist ein ganzes Jahr lang vollständig gelähmt. Die geschädigten Hirn- und Spinalnerven, die für die Steuerung des Rumpfes zuständig sind, führen zu einer Schwächung aller Gliedmaßen. Zudem ist Phil von Dysphonie betroffen. Das bedeutet, dass er weder sprechen noch schreiben kann. Es fällt ihm schwer, sich mitzuteilen und klar zu denken.
Lange Zeit ist -direkt nach Krankenhaus und Reha- der Wiedereinstieg ins Klettern undenkbar. Phil ist zu sehr mit der Bewältigung des ganz normalen Alltags beschäftigt: Dinge wie Zähneputzen, Gehen und Schreiben lernen oder eine Kaffeetasse tragen erfordern seine ganze Konzentration. Schritt für Schritt kämpft sich Phil zurück ins Leben. Er hat einige Operationen, viel Sprach-, Physio- und Ergotherapie. 2019 wird sein Sohn Emil geboren, was ihm viel Energie und Kraft gibt. Bei Emil sieht er jeden Tag Fortschritte und Entwicklungen und freut sich darüber. Zugleich gibt ihm das viel Antrieb für sich selbst.
Aufgeben ist keine Option
Bis heute ist Phil eingeschränkt. Er hat eine 50-prozentige Schwerbehinderung, seine Muskulatur ist nicht mehr so stark wie früher, die Nerven reagieren nur langsam. Zudem ist sein Sehvermögen weiterhin getrübt. Aber: Heute klettert Phil wieder. Darüber nachgedacht, dass Klettern einmal nicht mehr Teil seines Lebens sein wird, hat er nie. Die Option, mit dem Klettern aufzuhören, gab es für ihn schlichtweg nicht. Daher wollte er zurückkommen, wieder anfangen zu trainieren, wieder ehrgeizig Ziele verfolgen. Gemeinsam mit seinem Bruder baut er seine Muskulatur wieder auf, trainiert viel und hart. Und das mit Erfolg: 2023 ist Phil sogar bei den Weltmeisterschaften in Bern mit dabei! Nach wie vor ist Phil am liebsten mit seinem Zwillingsbruder am Fels. Dabei ist er inzwischen aber auch Mitglied im deutschen Paraclimbing-Nationalkader.
Im Kader schätzt Philipp vor allem das Miteinander und das verbindende Element: „Paraclimbing im Team ist ein Mitteilungsort, da verstehen alle alles. Und alle haben ihr Päckchen zu tragen.“ Der Stellenwert des Kletterns ist für ihn unverändert geblieben, jedoch hat sich die Qualität gewandelt. „Klettern war schon immer das Zentrum meines Lebens – und wird es auch bleiben.“ Während Phil früher eher ein Einzelgänger war, ist ihm jetzt das Team wichtig.
Paraclimbing – Sportklettern für Menschen mit körperlicher Behinderung
Paraclimber*innen starten auf Wettkämpfen in drei Wertungsklassen:
- Blind Sport Classes (B1, B2, B3)
- Amputees (AU1, AU2 (Arm); AL1, AL2 (Bein))
- Limited reach, power or stability (RP1, RP2, RP3)
Je höher die Zahl, desto geringer der Grad der Beeinträchtigung. Unterschieden wird zudem in männliche und weibliche Startklassen. Phil wird wegen seiner sehr eingeschränkten Beweglichkeit der Klasse RP2 zugeordnet. Die Paraclimber*innen werden einmal zu Beginn ihrer Karriere im Nationalkader von einem Gremium des IFSC eingestuft; alle zwei Jahre erfolgt eine Neubeurteilung.
Der Film “Am seidenen Faden”
Der Film „Am Seidenen Faden“ von Regisseur Florian Nick schildert eindrucksvoll die berührende Geschichte von Philipp Hroseks Kampf zurück ins Leben und an die Kletterwand. Es ist ein Neuanfang. Einer, der nicht nur den Wiederaufbau seiner körperlichen Fähigkeiten bedeutet, sondern auch eine zweite Chance darstellt. Eine Möglichkeit, in der Philipp die Bedeutung seiner Familie und ein tieferes Verständnis für das Leben neu entdeckt. Diese Erzählung inspiriert und zeigt, dass selbst in den herausforderndsten Momenten eine Gelegenheit zur Veränderung verborgen sein kann.
Entstehungsgeschichte zum Film
Filmemacher Florian Nick stößt zum ersten Mal auf die Geschichte von Philipp Hrozek im Magazin des Deutschen Alpenvereins – und ist direkt fasziniert. Er kontaktiert Phil via Instagram und keine Stunde später haben sie ihr erstes Gespräch. Philipp war begeistert von der Idee, seine Geschichte zu teilen, um andere zu inspirieren, und Flo ging es genauso. Damit war das Projekt offiziell gestartet!
Zunächst geht Florian davon aus, dass sich sein Film primär ums Klettern drehen würde. Doch mit jedem Drehtag wird ihm klar, dass es um viel mehr geht. Es geht um Entschlossenheit, Familie und den Wert des Lebens. Dazu Flo: „Ich habe diesen Film gemacht, um Inspiration und Hoffnung zu geben. Viele Menschen stehen vor ihren ganz eigenen Herausforderungen und haben ein ähnliches Schicksal durchlebt wie Philipp. Wenn auch nur eine Person diesen Film sieht und ein wenig Hoffnung oder Motivation gewinnt, weiterzumachen, dann hat sich all die harte Arbeit für dieses Projekt gelohnt. Philipps Geschichte verdient es, geteilt zu werden. Wer weiß, vielleicht ist es genau die Motivation, die jemand da draußen heute braucht.“
Verlinkungen
Hier geht es zum Film „Am Seidenen Faden“:
Wenn Du mehr über Philipp und seinen Weg zurück ins Leben hören möchtest, dann hör in unsere Podcastfolge bei Grat Raus mit ihm rein: