Vor ein paar Wochen haben wir über die Vorbereitungen unseres Kollegen Robert für die Besteigung des Mera Peak (6,476 m) in Nepal berichtet. Inzwischen ist er von seiner Tour zurück, und hat unzählige neue Eindrücken und Erfahrungen mitgebracht. So viele, dass wir seinen Reisebericht in zwei Teile teilen mussten. Los geht’s:
Mit ziemlich hohen Erwartungen stieg ich Anfang Oktober ins Flugzeug Richtung Nepal auf dem Weg zum Mera Peak. Asien–Kathmandu–Himalaya, diese Begriffe gingen mir die ganze Zeit durch den Kopf. Wer hätte gedacht, dass ich aus meiner Komfortzone einmal heraus kommen und sowas unternehmen werde? Einfach machen! Ich hatte ja auch gute Freunde an meiner Seite, mit denen ich dieses tolle Ereignis teilen konnte.
Nach einem recht langen Flug mit einem siebenstündigen Aufenthalt in Abu Dhabi landeten wir spät am Abend in Kathmandu. Die Luft war sonderbar dick und warm, aber schon bald stellte sich ein gutes Gefühl ein – wusste ich doch, dass mich jetzt etwas komplett Neues erwartet. Und schon ging’s los. Schnell das Visum bezahlt und erhalten, weiter zur Gepäckausgabe – hoffentlich ist alles da. Was wenn was fehlt? Ohne isolierte Schuhe und Steigeisen hätten wir direkt wieder ins Flugzeug steigen und zurück fliegen können.
Aber da, die erste grüne Tasche ruckelte auf dem Fließband auf uns zu. In der vollen Halle wurde die Luft immer schlechter, und die Deckenventilatoren drückten den Mief zu uns herunter. Die Klinkerwände des Flughafens erinnerten an vergangene Zeiten aus der Brandenburger Region der ehemaligen DDR. Das war also unser erster Vorgeschmack auf eine asiatische Großstadt: Fremd und doch vertraut.
Am Ausgang erwartete uns Tej, unser Guide. Mit ihm hatten wir unsere Reise geplant und er würde uns die kommenden Wochen begleiten. Mit einem herzlichen Namasté und aneinander gelegten Händen wurden wir begrüßt und bekamen sogleich eine Blumenkette umgehangen – wie im Märchen. Im Hotel angekommen, machten wir es uns bei einer Flasche Everest Bier auf dem Dach des Gebäudes gemütlich und betrachteten die funkelnde Stadt bei Nacht.
Kathmandu
Sonne, 28 °C und der Drang, die Stadt zu erkunden. Unseren ersten Tag verbrachten wir in Kathmandu. Die Swayambhunath Stuba (Affentempel) war dabei unser Tagesziel. Den Weg dahin habe ich in meinem Tagebuch wie folgt beschrieben: “Müll, Schweine, Kühe, stinkendes Wasser”. Das war mein erster Eindruck von der Stadt: abstoßend und faszinierend zugleich. Aber das war nur der Anfang. Eine schöne und seltsam zufriedene Stimmung stellte sich dafür bei mir ein, als wir den Affentempel erreichten.
Eine riesige Treppe führte uns hoch zur Stuba. Überall liefen Äffchen herum, steinerne Götter zierten den Weg, Gebetstrommeln wurden von links nach rechts gedreht, und der Duft von Räucherstäbchen lag in der Luft und war überall präsent. Von weitem hörte ich schon das Mantra “om ma ni pad me hum”. Ein Mönch lief in seiner Kutte an mir vorbei – hier war ich richtig. Gigantisch und faszinierend, dass diese Gebäude teilweise schon seit 2000 Jahren stehen – das meinte zumindest ein netter kleiner Nepalese, der für den gut gemeinten und ungefragten Hinweis sogleich 5 $ verlangt. Einmal da, will man gar nicht mehr weg von diesem Ort der Zufriedenheit.
Auf dem Rückweg zum Hotel versuchten wir bewußt, die touristischen Teile der Stadt zu umgehen, um das “echte” Kathmandu zu sehen. Wir fanden so manch schöne, verborgene Ecke, aber auch erschreckende, traurige Seiten der Stadt.
Lukla
Der Wecker klingelt um 5:40 Uhr, 6 Uhr Frühstück, 6:30 Uhr Abfahrt zum Flughafen. Die Aufregung stieg minütlich an, denn an dem Tag sollte es mit einer winzigen Propellermaschine nach Lukla (dem angeblich gefährlichsten Flughafen der Welt) gehen, wo die eigentliche Tour starten würde. Angekommen am Flughafen wurden wir recht schnell zu unserem Flugzeug gebracht. Ich kannte zwar die Flugzeuge aus TV-Reportagen, aber dass die so alt sind, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte das Glück, einen Platz direkt hinter dem Piloten zu ergattern und hatte so einen guten Blick auf Start- und Landebahn. Allerdings auch auf die Anzeigen des Cockpits, welche nicht sonderlich vertrauenserweckend aussahen. Aber gut, das wird schon klappen. Bis jetzt ging es ja auch (meistens) gut. Und wenn nicht, geht es wenigstens schnell.
Die beiden Piloten drehten die Motoren auf und gaben richtig Gas. Sanft hob das Flugzeug ab. Wärend der Propellerlärm immer lauter wurde, machte sich ein deutlicher Kerosingeruch im Flieger breit. Das muss wohl so sein, denn niemand schien sich daran zu stören. Fasziniert betrachtete ich die Landschaft vor dem Fenster und beobachtete gleichzeitig den Co-Piloten, wie er Whatsapp-Nachrichten auf seinem Telefon schrieb. Wird schon gut gehen.
Langsam kamen die ersten Berge in Sicht und irgendwann stand der Mera Peak direkt vor unserer Nase. Das war nicht der Berg, den ich von den vielen Bildern kannte und über Monate immer wieder angesehen hatte. Riesig und monströs wirkte dieser Koloss aus Gestein und Eis jetzt. Und schon war er wieder aus dem Sichtfeld entschwunden, dafür wurde die Landebahn von Lukla sichtbar. Die Landebahn ist nur ca. 500 Meter lang und endet an einer Felswand. Man sollte also gute Bremsen dabei haben. Aber genauso sanft wie wir gestartet waren, landeten wir auch.
Erste Etappe, Akklimatisation
Kurz nachdem wir in Lukla gelandet waren, wurden uns unsere Träger vorgestellt und das Gepäck aufgeteilt. Da der nächste Ort laut Karte nur 200 Hm über uns liegen sollte, sparten wir uns eine Tagesetappe und liefen direkt nach Chutanga. Ziemlich schnell merkten wir allerdings, dass Chutanga 500 m höher lag als in der Karte verzeichnet. Egal, wir fühlten uns alle gut und genossen das schöne Wetter. Die Landschaft und das Klima erinnerten mich noch etwas an Südtirol, aber das änderte sich schnell, als wir die ersten Rhododendren sahen.
Wir gingen sehr, sehr langsam, da wir ausreichend Zeit hatten und keine Kopfschmerzen wegen eines zu schnellen Aufstiegs riskieren wollten. Dabei bleibt der Puls relativ niedrig und man kann durch die Nase atmen, was wiederum das Austrocknen der Schleimhäute im Rachen minimiert. Das war Teil der Akklimatisation. Ebenso wie unser Teekonsum. Täglich tranken wir 5-6 Liter Tee und Wasser. So wird das eingedickte Blut verdünnt und man gleicht den höheren Flüssigkeitsverlust durch das Atmen aus.
Als wir in Chutanga ankamen, war ich sehr erleichtert. Ich hatte keine Kopfschmerzen, fühlte mich fit und hatte richtig Appetit. Gegen Abend stiegen wir dann noch mal knapp 100 Hm auf, um die Maxime “hoch steigen, niedrig schlafen” einzuhalten. Dabei entdeckten wir noch einen netten Boulderblock und tobten uns ein wenig daran aus. Typisch sächsisch, mit etwas Ironie, benannten wir unseren Weg “AW am Wegelagerer” (alter Weg).
Am nächsten Tag stiegen wir auf ca. 4000 Meter auf, wobei wir ca. 500 Hm zurücklegten. Berg heil und ein kräftiger Händedruck, fast wie zu Hause. In einer kleinen Lodge ließen wir uns bei Tee und Nudelsuppe die Sonne auf den Pelz scheinen. Die Sonne ist in dieser Höhe, ähnlich wie in den Alpen, viel aggressiver als im Flachland. Hier sollte man je nach Hauttyp eine starke Sonnencreme wählen. Ich schwöre auf den Lichtschutzfaktor 50. Ein Schutz für die Lippen ist ebenso unerlässlich. Tiefe Risse sind sonst die Folge. Das sieht doof aus, tut verdammt weh, und gibt Ärger von der Freundin, weil es “kratzt”.
Auf dem Rückweg spürte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend. Obwohl ich nur das gegessen hatte, was die anderen auch aßen, hatte ich zu Beginn ein paar Probleme mit dem Magen. Zum Glück hatte ich eine gute Reiseapotheke von meiner Ärztin mitbekommen. Zusätzlich eine Flasche Cola und eine Packung Chips gaben mir all die Mineralien zurück, die ich verloren hatte. So bekam ich das Problem relativ schnell wieder in den Griff. Trotzdem blieb immer ein komisches Gefühl, und die Sorge, vielleicht doch noch zu erkranken. Vorsorglich gab es erstmal nur plain Rice zu essen. Schmeckt genauso wie es klingt, aber was soll’s.
Zatre La – Passüberquerung nach Thuli Khara
Am nächsten Morgen hatte ich leichte Kopfschmerzen und mir war etwas übel. Jeden Morgen verbrennen die Bewohner der Lodges verschiedene Pflanzenblätter für die Götter. Dieser Geruch bestärkte bei mir noch die Übelkeit, aber als wir starteten, ging es mir immer durch die frische Luft schnell wieder besser. Die Kopfschmerzen und die Übelkeit verschwanden.
An diesem Tag überquerten wir einen Pass auf 4600 m und stiegen anschließend zu unserer nächsten Lodge auf 4300 m ab. Wir kamen gut voran, tranken und aßen regelmäßig und fühlten uns gut. Schon zeitig sahen wir den Pass weit oben leuchten, geschmückt mit bunten Gebetsfahnen. Die letzten Meter wurden dennoch zäh und ich freute mich, den Pass erreicht zu haben und unter den Gebetsfahnen zu stehen. Für mich war das schon mein erster Höhenrekord, und umso größer war die Freude, es bis hierher ohne größere Probleme geschafft zu haben und mich dabei wohl zu fühlen.
Von dort sahen wir den Cho Oyu mit seinem gigantischen Grat – Gänsehaut. Auch weil es kalt wurde. Kurz unterhalb der 4600 m steht ein kleines Teehaus. Hier kehrten wir erstmal ein, tranken Tee und aßen ein kleines Stückchen der selbst mitgebrachten Salami, die auch die Nepalesen sehr mögen. Wenig später erreichten wir unsere Lodge. Jetzt waren wir doch ziemlich erschöpft, und schalteten erstmal einen Gang runter. Aber wie immer währte die Ruhe nicht lange, und wir suchten boulderfähige Felsblöcke für ein paar Züge. Dabei entdeckten wir eine kleine Grube, in die die Lodgebesitzer ihren Müll entsorgen. Im ersten Moment hat mich dieser Anblick inmitten der Natur sehr geärgert. Wenn man allerdings genauer darüber nachdenkt, haben die Bewohner kaum eine andere Wahl. Müllautos und Recyclinganlagen gibt es hier nicht. Was verbrannt werden kann, wird verbrannt, der Rest fliegt außer Sichtweite ins Geäst oder tiefe Löcher.
Die nächste Nacht war für mich sehr übel. Gegen 2 Uhr bekam ich ziemlich starke Kopfschmerzen und fand keinen Schlaf mehr. Obwohl ich nur ungern Schmerzmittel nehme, schluckte ich eine Tablette. Irgendwann schlief ich wieder ein und wachte etwas zerstört gegen 7 Uhr auf. Aber ich hatte immerhin keine Schmerzen mehr.
Jeder Tag ist Neu!
Dieser Satz bewahrheitete sich auf meiner Tour mehrmals. Egal wie die Nacht oder der Tag waren, schlecht oder gut, es war immer nur eine Momentaufnahme, und am nächsten Tag konnte alles wieder ganz anders sein.
Am folgenden Tag wollten wir nach Kote (Mosum Kharka) absteigen. Laut Karte ist dies ein kurzer Weg mit nur 600 Hm bergab. Spätestens hier merkten wir, dass die Karten sehr ungenau sind, und man sich nicht auf die Angaben verlassen kann. Immerhin waren die Ortsnamen richtig geschrieben. Der Weg zog sich Stunde um Stunde, auf und ab. Als wir nach knapp 6 Stunden am Ende des Tages in Kote ankamen, hatten wir um die 1100 Hm in den Beinen. Darauf gaben wir unseren Trägern erst einmal eine Runde Bier aus. Die Freude in ihren Augen war so groß, ehrlich und strahlte so viel Dankbarkeit aus – damit hatten wir nicht gerechnet. So eine kleine Geste mit so einer großen Wirkung, sehr schön.
Im Reiseführer stand, wir sollten auf die „Hot Shower“ verzichten , da hierfür unnötig rares Feuerholz verbrannt wird. Also entschieden wir uns für eine kleine Wäsche im Bach. Unglaublich, wie viel Dreck da von unserer Haut gespült wurde, Sonnencreme, Schweiß, Staub etc. Ich fühlte mich direkt etwas leichter, sicherlich nur Einbildung.
Das Essen auf den Lodges war immer gleich. Basics waren Reis, Nudeln und Kartoffeln, die wahlweise angebraten mit Käse oder einem Hauch von Gemüse angeboten wurden. Anfangs war das ganz gut, später aber sehr eintönig. Unsere Sehnsucht nach frischem Essen wurde immer stärker. Einzig die Pizza wurde meistens mit Dosentomaten bestrichen, was uns wie eine Offenbarung schien. Von da an gab es für mich jeden Abend Pizza. Im Nachhinein war das vielleicht ein Fehler, da Nudeln für den Kalorienbedarf besser gewesen wären.
Am nächsten Tag stiegen wir wieder auf 4300 m nach Tangnag. Der Weg, entlang eines wilden Flusses, der unter anderem vom Mera Peak Gletscher gespeist wird, war sehr schön. Er schlängelte sich durch das wilde Flussbett herab von einer schönen, kupferrot leuchtenden Heidewiese. Mittendrin waren tausende von Edelweiß-Pflänzchen, und plötzlich erschien ein kleines buddhistisches Kloster an eine Felswand angeschmiegt. Der Sage nach war hier früher ein Dorf tibetischer Flüchtlinge. Als ein extremer Schneesturm alle Wege nach außen abschnitt, erschien ein weißes Yak und führte die Dorfbewohner ins Nirvana. Die Wahrheit dahinter ist, dass das Dorf verhungerte, weil die Vorräte nicht ausreichten. Seitdem beten in diesem Kloster jeden Morgen buddhistische Mönche.
Training und Wetterwechsel
Im Tangnag nutzen wir einen Ruhetag, zum Training mit der Steigklemme. Etwa 15 Meter klettern wir einen kleinen Fels am Seil, um den Umgang mit der Steigklemme zu vertiefen. Oben angelangt mussten wir noch zeigen, dass wir des Abseilens mächtig sind. Für gestandene Kletterer aus dem Elbsandsteingebirge natürlich kein Thema. Ein Nicken unseres Climbing Sherpas Kaila bedeutete dann auch, dass wir tauglich waren. Gegen Mittag wurde das Wetter schlecht, schlechter als sonst. Normalerweise kamen ab 11 Uhr mittags erste harmlose Wolken, die gegen Ende des Tages immer dichter wurden. Diesmal war es anders. Schneegraupel setzte ein, der Wind wurde stärker. Irgendwie ahnten wir, dass was nicht stimmt. Aber: Jeder Tag ist neu, auch beim Wetter! Hofften wir.
Am nächsten Tag wachten wir nicht wie sonst bei blauem Himmel auf. Schon morgens hingen die Wolken auf Kopfhöhe und sahen bedrohlich aus. Trotzdem blieben wir den ganzen Tag trocken, als wir zur letzten Lodge auf unserem Weg nach Khare aufstiegen. Der Weg nach Khare führte uns auf 4800 m (laut Karte 5000 m) und war recht anstregend, da die letzten 200 Hm ziemlich steil waren. Am Nachmittag stiegen wir außerdem auf einen kleinen Berg, der ca. 5100 m hoch war. Ziemlich souverän stiegen wir langsam, aber stetig nach oben, und ich bekam ein immer besseres Gefühl. Hier bin ich richtig, dachte ich mir. Die Laune war auf Höchstniveau, der Mera Peak für mich in dem Moment zum Greifen nahe.
Das letzte Lager
Am nächsten Morgen gingen wir für unsere Akklimatisation ein Stück des Weges zum Basecamp. Bis 5200m fühlte ich mich sehr gut, was mich überraschte. Dann plötzlich, wie vom Blitz getroffen, erlitt ich einen Leistungsabfall, und fühlte mich total schlapp. Gleichzeitig verschlechterte sich das Wetter. Immer dichtere Wolken stiegen auf, die Sonne war inzwischen gänzlich verschwunden, und es wurde kalt. Mehr schlecht als recht stiegen wir den steilen Weg wieder ab.
In der Lodge sprachen wir über den Tag, und wie suboptimal es bei uns lief. Richtig fit fühlte sich niemand von uns, und das schlechte Wetter drückte auf die Stimmung. Irgendwie waren die guten Schwingungen vom Abend davor gänzlich verschwunden, und unsere Nervosität wurde deutlich spürbar. Zudem sagte der Wetterbericht viel Neuschnee voraus, was mit Schneestürmen einherging. Es wurde darüber diskutiert, den Versuch, den Gipfel zu besteigen, abzublasen, ohne es überhaupt versucht zu haben. Jetzt im Nachhinein schätze ich, dass die Höhe auf uns, insbesondere unsere Psyche, einen großen Einfluss hatte. Nicht umsonst sagt man, dass mit der Höhe die Moral nachlässt. Dass dies auf knapp 5000 m schon so ist, hätte ich nicht erwartet, zumal bisher fast alles wie am Schnürchen gelaufen war. Wir trafen an diesem Abend keine Entscheidung, sondern verschoben sie auf den nächsten Morgen.
Ich fühlte mich schlecht, zweifelte stark an mir, und verlor jegliche Lust, diesen Berg zu besteigen, für den ich so hart trainiert hatte. Mit diesem Gefühl ging ich deprimiert ins Bett. Doch das Schlafen fiel mir in der Höhe sehr schwer. Im Schlaf fiel ich in meinen gewohnten Atem-Rhythmus zurück, der jedoch in dieser Höhe für die Sauerstoffaufnahme nicht reichte. Immer wieder wachte ich auf und schnappte panisch nach Luft. Durch die dünnen Wände in den Lodges konnte ich hören, dass es den anderen Bergsteigern rings herum auch so ging. Das beruhigte mich ein wenig.
Der Gipfelversuch
Am nächsten Morgen öffnete ich die Tür meines Zimmers und wurde von einem wolkenlosen blauen Himmel begrüßt. Verdammt! Gerade wollten wir abbrechen, weil das Wetter so schlecht war, und nun das. Etwa 10 cm Neuschnee lagen mir zu Füßen – wie viel Neuschnee gab es dann oben auf dem Berg? Keiner wollte so recht eine Entscheidung treffen, nur Claus stand da und wartete, dass es los geht. „Also scheiß drauf! Weswegen sind wir denn überhaupt hier?! Los geht’s!“
Schnell packten wir unsere Sachen zusammen. Noch geschwind frühstücken und viel Tee trinken, und dann ging es auch schon los. Langsam stiegen wir den Weg vom Tag zuvor auf. Jetzt sah der Weg ganz anders aus und war sehr glatt vom Schnee. Irgendwie kam ich nicht richtig in Fahrt – aber gut, das war bisher immer so, und nach einer halben Stunde liefs meist besser. Also redete ich mir gut zu und machte mir selber Mut. Aber es wurde einfach nicht besser. Ich fühlte mich wieder schlapp und abgeschlagen.
Nein! Ich hatte so viel trainiert und investiert, das kann nicht sein, nicht jetzt! Ich war doch der Fitteste im Team. So viel wie ich hatte keiner trainiert – war das vielleicht der Fehler?! Ich trat mir imaginär selber in den Hintern und machte mich damit nur noch mehr verrückt. Matthias hörte mich schnaufen und merkte, dass ich Probleme hatte. Auch er redete mir gut zu. Ich sagte ihm ganz ehrlich, dass ich mich nicht fit fühlte. Wir redeten kurz drüber und er sagte mir, dass ich mir keinen Stress machen und, wenn es nicht geht, einfach absteigen solle. Nichts sinnlos riskieren sollte die Devise sein, aber davon will ich in dem Moment nichts wissen. Ach was, es geht schon! Aber innerlich spüre ich, dass Matthias recht hat.
Eine schwere Entscheidung
Immer deutlicher spürte ich, dass ich gegen Windmühlen kämpfte. Das war einfach nicht mein Tag. Jetzt war noch die Zeit, wo ich alleine zurückgehen konnte, ohne die anderen aufzuhalten, oder dass einer der Träger mich begleiten müsste. Ich dachte laut darüber nach abzusteigen. Die Anderen redeten mir Mut zu, egal wie ich mich entscheide. Weitergehen und umkehren: beides war mutig, jedoch erfordert ein Rückzug den Mut, über den eigenen Schatten zu springen und sich einzugestehen, dass man zu schwach ist. Ich sah ein, dass ich die knapp 1200 Hm zu bewältigenden Höhenmeter heute in dieser Höhe nicht mehr schaffen würde, und traf daher die für mich enorm schwere Entscheidung, umzukehren.
Vor Ort verabschiedete ich mich von meinen Kameraden und wünschte ihnen viel Glück. Ich musste mir dabei auf die Lippe beißen, um nicht zu heulen. Ich lief den Trägern entgegen, übernahm mein ganzes Gepäck und reichte Tej, unserem Guide, noch die Salami aus meinem Rucksack, die wir alle gemeinsam im Hochlager essen wollten. Alle redeten mir noch gut zu und versuchten mich zu trösten, aber viel Zeit blieb nicht.
Das war’s! Plötzlich stand ich alleine am Hang und fühlte mich wie ein Feigling. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. So viele Trainingskilometer bin ich gelaufen, habe meine Familie und Freunde aus Dresden dieses Jahr kaum gesehen, weil ich meine Urlaubstage sparen musste. Und der Rest ging für’s Training drauf. Tief von mir selbst enttäuscht setzte ich mich auf einen Stein und verlor mich in meinen Gedanken. Alles umsonst!
Dann fiel mir wieder ein, wie mir meine Ärztin sagte, dass ich im Falle eines Abbruchs nicht daran denken solle, was ich alles an Kraft, Zeit und Geld investiert habe. Ich solle vernünftig sein und lieber gesund nach Hause kommen. Leicht gesagt, aber an den Gedanken musste ich mich jetzt wohl gewöhnen. Ich merkte, wie ich immer müder wurde, also stand ich auf und lief den Weg hinunter zur Lodge. Ziemlich kraftlos kam ich an und legte mich direkt in meinen Schlafsack. Nach knappen 300 Gramm Schokolade schlief ich erst einmal 2 Stunden.
Wenn ich von dem kleinen Auf- und Abstieg mit insgesamt nur ca. 600 Hm schon so erschöpft war, wie wäre es dann erst da oben geworden? Insgeheim wusste ich, dass ich richtig gehandelt hatte, trotzdem fühlte ich mich elend.
Der nächste Tag
Ich fühlte mich nicht wirklich besser. Tatsächlich fühlte ich mich noch nicht mal in der Lage, einen kleinen Berg hinter der Lodge zu ersteigen. Darum blieb ich im Bett. Gegen 15 Uhr schaffte ich es doch noch, endlich aufzustehen. Ich lief um die Lodge herum, um mir einen Tee zu holen, als ich im Augenwinkel Matthias anwanken sah, der gerade vom Mera Peak zurückkam.
Wir umarmten uns und er erzählte mit völlig erschöpfter Stimme, dass sie alle den Gipfel geschafft hatten, aber nie mehr da hoch wollten. Mit Eis und Schnee überzogen, kamen auch die anderen nach und nach an. Als wir wenig später alle am Ofen in der Lodge saßen, wurde ausgiebig erzählt: der lange Weg zum Hochlager auf fast 5900 m. Das Hochlager direkt am Abgrund einer ca. 2000 m abfallenden Flanke. Wie sie die Salami schlachteten und der im Zelt schlecht schliefen. Wie die Seilschaft Meter um Meter zum Gipfel ging, und dabei den Sonnenaufgang sah. Angekommen am Gipfel der Blick auf Mount Everest, Cho Oyu, Baruntse, Island Peak und viele weitere Berge. Das hätte mir auch gefallen!
Der Weg zurück
Die nächsten drei Tage ging es auf dem selben Weg, den wir gekommen waren, zurück nach Lukla. Niemand hatte noch Lust, zu laufen; umso weniger einen Weg, den man bereits kennt. Aber was muss, das muss. Überraschenderweise sah ich den Weg jetzt ganz anders als auf dem Hinweg. Das Wetter besserte sich, die Sonne schien, und die Vegetation veränderte sich herbstlich schön. Rote Heide und gefärbte Bäume umgaben den Weg, und alles war für mich eine wahre Freude. In den tieferen Ebenen um 4300 und 3800 Metern konnte ich endlich wieder durchschlafen und merkte, wie ich immer mehr Energie auftankte. Je mehr wir abstiegen, umso besser wurde auch die Laune der anderen. Es gab nie Streit, aber die Anspannung, die in der Luft gelegen hatte, verschwand mit jedem Meter, den wir abstiegen und das Essen schmeckte (fast) immer besser.
Erklärtes Ziel war, in Lukla ein Stück Apfelkuchen zu essen, und Kaffee und Bier zu trinken. Vor allem die Lust auf frische Nahrung wurde bei uns immer größer. Zunächst mussten wir aber noch den Zatre La Pass auf 4600 m überqueren, der ziemlich eingeschneit war, was unser Vorankommen arg verlangsamte. Umso schneller stiegen wir dafür im Anschluss ab, als der Schnee weg war und Lukla in greifbare Nähe kam.
Angekommen in Lukla, ging Matthias direkt zum Bäcker und lud mich auf ein herrliches Stück Apfelkuchen ein. Das leckerste Stück Apfelkuchen, das ich je gegessen habe (Sorry Mutti!). Danach folgte die erste Dusche seit zwei Wochen und wir schliefen zum ersten Mal wieder in einem richtigen Bett, mit Decke und Kopfkissen – herrlich.
Am darauffolgenden Tag ging es per Flieger wieder zurück nach Kathmandu. Hier blieben uns noch fünf Tage, um die Stadt und die Mentalität der Menschen weiter kennenzulernen.
Ein paar Tage später stellte ich mir die Frage, ob es das alles wert war? Die kann ich ganz deutlich mit JA beantworten. Die Bilder in meinem Kopf und auf meiner SD-Karte, die neuen Erfahrungen, die Freundschaft zu meinen Weggefährten, dieses Gebirge, dieses Land, diese Mentalität waren es Wert! Und ich bin froh, mich so gezielt vorbereitet zu haben. So weiß ich, dass ich alles versucht habe, um mein Ziel zu erreichen und kann mir nicht vorwerfen, faul gewesen zu sein. Hätte ich etwas besser machen können? Ich weiß es nicht. Vielleicht klappt es das nächste Mal…Jeder Tag ist neu!
4 Comments on the Article
Lieber Robert! Ganz herzlichen Dank für deinen Bericht. Deine Ehrlichkeit, Deine Liebe zum Sport, zur Bewegung zur BergWelt, gemischt mit der Sehnsucht, den Gipfel zu schaffen und der Demut vor allem, haben mich alles von Anfang bis Ende nahezu verschlingen lassen. Das Ganze ist wohltuend in der Vielzahl von Schilderungen, die es über vermeintliche oder tatsächliche Gipfelsiege gibt. Als jemand, die viel in den Bergen unterwegs war und ist und viele Jahre Leistungssport gemacht hat, weiß ich, dass man am liebsten oben steht. Vielleicht sind es aber gerade Schilderungen wie die von dir, die die Menschheit weiter bringen… Hab Dank dafür, egal, ob du jemals auf dem Mera Peak stehen wirst oder nicht. Herzlicher Gruß und Bergheil, Barbara
Hallo Robert, ein sehr, sehr interessanter Bericht. Ich kann gut nachvollziehen wie Du Dich gefühlt hast, als Du umkehren musstest. Mir ist es 2010 und 2012 am Elbrus auch so gegangen. Aber am 14.07.2015, 09:45 habe ich es dann doch geschafft. Du weißt sicher, was ich meine, wenn ich sage es hat Suchtpotential!!! Ich könnte schon wieder. Ich hab ein Buch darüber geschrieben und beim Lesen darin, muss ich immer wieder heulen. Dein Bericht hat mich sehr neugierig auf Nepal, den Himalaya und den Mera Peak gemacht. Vielleicht treffen wir uns ja auf dem Gipfel! LG Frank (dem Sachsen in Berlin)
Hallo Robert, toller Bericht und tolles Erlebnis. Ich war 2014 selbst mit einem Freund auch auf dem Mera Peak - ein unvergessliches Erlebnis. Bei Interesse kannst Du hier einen kleinen Bericht finden: http://www.moalshome.de/blogs/2014/08/nepal-2014-mera-peak-6654m/ Hier gibt's 'n paar Fotos dazu: http://www.moalshome.de/fotoalben/nepal-2014/ LG Moal
Hallo Robert, mit sehr viel Interesse habe ich Deinen Bericht über den Mera Peak gelesen, weil ich letztes Jahr im Mai 2014 das Glück hatte, bei besten Bedingungen auf diesem Berg stehen zu dürfen; Erinnerungen kamen beim Lesen auf. Ich kenne Deine Gefühle, aber mit Feigheit hat das nichts zu tun. Die wahre Größe eines Bergsteigers zeigt sich in der Niederlage und wie er damit umgeht. Du solltest den Mera Peak deshalb nicht aus den Augen verlieren, der Berg läuft nicht davon. ... und die Erfahrungen mit Land und Leuten nimmt Dir keiner mehr. Viel Erfolg bei Deinen weiteren sportlichen Zielen!