Über Anna Weiß
Die 35-Jährige hat die Welt als Flugbegleiterin bereist, als Industrie-Insiderin einen erfolgreichen Special-Interest-Verlag mitgegründet und als Senior Consultant einer Kreativagentur herausragende Projekte umgesetzt. Als ehemalige Ausbilderin im Bundeslehrteam Mountainbike des Deutschen Alpenvereins e.V. besitzt sie einen natürlichen Zugang zu Leadership und Agilität. Die Tourismus- und Mobilitätsexpertin arbeitet momentan für das Schweizer Beratungsunternehmen “Hello Allegra” und ficht für Mut und radikale Kooperation.
In ihren Design Thinking Workshops entwickelt sie gemeinsam mit Destinationen, Unternehmen und NGOs ganzheitliche Strategien für zukunftsweisende Fragestellungen. Wenn sie nicht arbeitet, findet man sie egal bei welchem Wetter meistens draußen – gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter Vita und ihrem Podenco Mojito.
Anna Weiß über Methoden und Mindset beim Design Thinking
Liebe Anna, was können sich unsere Leser unter Design Thinking vorstellen?
Design Thinking, ‘Denken wie ein Designer’ ist meines Erachtens nach ein irreführender Begriff. Dadurch wird Design Thinking ausschließlich mit ‘kreativen’ Menschen in Verbindung gebracht – als ob es nur diesen zugänglich wäre und für alle Normalsterblichen unerreichbar.
Dabei ist Design Thinking nichts anderes als eine angeborene Fähigkeit des Menschen intuitiv und assoziativ zu denken, Muster zu erkennen und aus diesem Ansatz etwas Neues zu erschaffen. Es ist eine kreative Herangehensweise daran, Probleme zu lösen. Was jeder von uns jeden Tag Dutzende Male macht. Wir Menschen sind geborene Problemlöser – und kreativ. Ganz interessant dabei: Im Tibetischen gibt es anscheinend keine wörtliche Übersetzung für das Wort ‘kreativ’ – das, was dem am nächsten kommt, ist das Wort ‘natürlich’. Wir alle bringen das mit – es ist zutiefst menschlich – wir vergessen das nur gerne.
Design Thinking beschreibt ein Mindset, welches Menschen, die ‘kreativ’ arbeiten, nähren und pflegen. Die dazu entwickelten Methoden sollen es auch Menschen, die nicht als Designer ausgebildet worden sind, helfen, sich dieses Mindset bei der Problemlösung zunutze zu machen. Die bekanntesten Methoden sind das Brainstorming oder auch die Meditation. Radikale Kooperation ist dabei ein zentrales Thema. Wir denken immer, dass wir unsere Probleme selbst lösen müssen, dabei haben wir so viele kundige Menschen um uns herum! Plötzlich haben wir so viel mehr Lösungsansätze, wenn wir mit einer Gruppe arbeiten.
Du warst vergangenes Wochenende mit einer Gruppe Frauen im Gasteiner Tal im Rahmen des DESIGN YOUR LIFE Workshops mit adidas TERREX. Was war dort Deine Aufgabe?
Meine Aufgabe als Workshopleiterin bestand primär darin, Fragen zu stellen. Wir haben gemeinsam erarbeitet, wie man sich Denkmuster bewusst machen oder Glaubenssätze aufbrechen kann. Denn bevor man sich an einen “Soll-Zustand” wagt macht es auf jeden Fall Sinn, erst einmal einen sehr ehrlichen Blick auf den eigenen Ist-Zustand zu richten. Der geschützte Raum, den uns adidas TERREX geboten hat, hat es möglich gemacht, dass wir Frauen offen und frei diskutieren konnten. Der Workshop war so angelegt, dass wir während einer Wanderung durch das Gasteiner Tal kompakt und intensiv an verschiedenen Aufgaben arbeiteten. Dazu gab es kleinere Aufgaben zu lösen, die das Bewusstsein und die Achtsamkeit schärfen, damit jede Teilnehmerin am Ende des vier Tage Workshops eine Handreichung hat, um das eigene Leben und seine Herausforderungen aus neuen Blickwinkeln betrachten und ganz aktiv (um-) gestalten kann.
Wichtig dabei: sowas passiert nicht in vier Tagen Workshop, die können nur ein Anstoß sein. Wichtig ist alles, was danach passiert. Und deshalb ist der Faktor Zeit ein unglaublich wichtiger. Es dauert, bis man jahrelange Denkmuster und Gewohnheiten ablegt. Wichtig ist aber, dass man irgendwann in die Eigenverantwortung geht und den ersten Schritt geht, indem man sagt: “Ja, es ist mein Leben. Und ich will es aktiv gestalten.” Zum Beispiel, indem ich mich Stück für Stück von den Dingen, Verhaltensweisen etc. trenne, die mir nicht gut tun.
Kannst Du uns ein konkretes Beispiel für eine Übung/Methode nennen, die Du im Workshop anwendest?
Eine Übung war beispielsweise folgende: Wir haben uns drei Blatt Papier genommen und auf jedes einzelne Blatt ein “mögliches Leben” niedergeschrieben. Wir denken immer, wir müssen alle Alternativen in ein Leben packen, aber das stimmt gar nicht. Wir entwarfen also drei alternative Szenarien, die es uns erlaubten, sie gegeneinander abzuwägen. Das erste Leben ist das, dass Du jetzt schon führst – lediglich mit einem neuen, speziellen Projekt, das Du gerne umsetzen würdest. Das zweite Leben wäre das, das stattfindet, wenn Dein Arbeitgeber plötzlich pleitegeht. Und das dritte Leben, so eines, in dem Geld, Zeit und Verpflichtungen & Image keine Rolle spielen. Die Teilnehmerinnen haben alle drei Leben aufgeschrieben und sich eines davon herausgepickt.
Dann ging es in die konkrete Planung dazu: Das Ziel definieren & Informationen zum Weg dorthin sammeln. Wer ist diesen oder einen ähnlichen Weg vor mir schon gegangen und kann mir davon erzählen oder wie kann ich Erfahrungen im “Kleinen” machen, die mich auf diesen Weg vorbereiten? Wenn der Weg klar war, haben wir ihn in Etappen eingeteilt und die vorauszusehenden Schlüsselstellen definiert. In Kleingruppen haben die Frauen dann zu jeder einzelnen Schlüsselstelle mögliche Lösungen erarbeitet.
Im Workshop geht es darum, herauszufinden, wie man gute Entscheidungen trifft – am Berg ebenso wie im Privat- und Arbeitsleben. Inwieweit lassen sich da Parallelen ziehen?
Der große Gedanke dahinter ist: Wir wandern durch die äußere Landschaft – aber genauso auch durch unsere innere Landschaft. Bewegung im Körper führt zu Bewegung im Geist! Beim Wandern oder der Tourenplanung stellen wir uns oft dieselben Fragen wie im Leben generell: Was ist mein Ziel? Wie komme ich dorthin? Was ist mein erster Schritt? Was sind meine Schlüsselstellen und wie überwinde ich sie?
Mein Hintergrund als Bergsportlerin hat es mir erlaubt, viele Methoden aus der Tourenplanung beim adidas TERREX Design Your Life-Workshop anzuwenden. Denn im Endeffekt geht es immer um dasselbe: eine Auswahl an Möglichkeiten/Lösungen zu schaffen und diese Auswahl dann wieder zu begrenzen. Das eine nennt sich rollende Tourenplanung, das andere nennt sich Design Thinking.
Wir haben zum Beispiel auch eine angepasste Version des 3 x 3 der Tourenplanung als Risiko-Reduktionsmethode im Workshop genutzt. Was brauche ich in Vorbereitung auf ein bestimmtes Ziel, was brauche ich zum Start und was brauche ich währenddessen? Das können unterschiedliche Dinge sein, z. B. Startkapital, ein Netzwerk, bestimmte Kompetenzen. Es geht darum, sich anhand einer Checkliste klarzumachen, was man schon mitbringt und was man noch nicht mitbringt aber ggf. braucht – und wie man es sich aneignen kann. Daraus lässt sich dann eine Roadmap erstellen.
Welche Erkenntnisse hast Du während des Workshops oder auch im Nachhinein für Dich mitgenommen?
Fakt: Ein Großteil der Teilnehmerinnen in der Gruppe hatte dieselben Themen. Das war eine interessante Einsicht für mich als Workshopleiterin. Zu sehen, dass da einfach strukturell noch einiges im Argen liegt! Was Verhaltensweisen angeht, Rollenbilder in der Gesellschaft, sexuelle Belästigung, etc. Und: Bei allen Teilnehmerinnen zentral war das Thema Scheitern. Wie ein bekannter Designer mal so schön gesagt hat: Die Angst vor dem Scheitern ist die giftigste Schlange im Raum.
Dabei ist es das Wichtigste, Scheitern zu normalisieren und zu erkennen, dass unsere Sicht auf das Scheitern auch kulturell geprägt ist. Und dass viele Frauen mit ihrem Perfektionismus natürlich doppelt Angst davor haben, das Risiko des Scheiterns einzugehen. Das Wichtigste ist, sich bewusst zu machen, dass wir aus unseren Fehlern viel mehr lernen, als wenn alles glatt läuft. Dass andere genauso scheitern – und dass wir auch dann noch gemocht werden, wenn doch mal was nicht funktioniert. “Failure sucks, but instructs”.
Was motiviert Dich in Deiner Aufgabe?
Ob Teilnehmerin, Hotelchefin oder ich – das Spiel zwischen den Menschen, die Beziehungen, die aufgebaut werden, das motiviert mich. Wir haben im normalen Leben, im stressigen Alltag nie den Raum oder nehmen ihn uns nicht, um uns selbst zu reflektieren. Aber die Antworten haben wir alle in uns. Der Workshop war wie vier Tage die Stopp-Taste drücken und einfach schauen, was noch in uns steckt. Mein größtes Learning: Ich werde meine Workshops nur noch draußen stattfinden lassen. Die Menschen sind sehr viel kreativer, wenn sie in einer ungewohnten Umgebung sind. Das ist so viel kraftvoller!
Bietest Du diesen Workshop speziell für Frauen an?
Das ist jetzt im Rahmen der großartigen Kampagne von adidas TERREX so entstanden und die Frauen in den Gruppen haben super harmoniert. Unter den Frauen war eine besondere Energie, ein wunderbarer Vibe und sie konnten sich einander schnell öffnen. Aber dieser Workshop ist durchaus auch für Männer interessant und viele sind auch schon deswegen auf mich zugekommen. Diese Fragen sind bei Männern genauso da. Gerade in speziellen Lebensphasen, wo man sich selbst überlegt: Was steckt noch in mir?
85 % unserer täglichen Aktionen sind Gewohnheitsaktionen. Hinter dem Satz “Ich bin eben so, wie ich bin” steckt oft nur Faulheit, Gewohnheit oder Angst. Und das sage ich, ohne relativieren zu wollen, dass manche Menschen aufgrund ihrer Ethnie oder Herkunftsfamilie einen sehr viel schwierigeren Start haben als andere oder aufgrund schwerer Krankheiten gehandicapped sind. Aber Eigenverantwortung kann jeder von uns übernehmen – in verschiedenem Maß, sicherlich. Und Eigenverantwortung kann auch heißen, sich nach Abwägung aller Fakten und des Bauchgefühls bewusst dafür zu entscheiden, ins Risiko zu gehen. Dabei müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass wir in Westeuropa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen in einer sicherheitsfanatischen Kultur leben. Wie im Bergsport – der ist lediglich ein Spiegel unserer Gesellschaft. Darf noch Unsicherheit bestehen? Ein Perspektivwechsel hilft da weiter: Bergsport ohne Unwägbarkeiten gibt es nicht. “Erfindertum”, Kreativität ohne das Risiko des Scheiterns gibt es nicht. Ganz generell: ein Leben ohne Risiko gibt es nicht.
Du warst schon Ausbilderin im Bundeslehrteam Mountainbike des Deutschen Alpenvereins, als Flugbegleiterin unterwegs und Senior Consultant einer Kreativagentur. Das hört sich super vielfältig an. Betrachtest Du Dein Leben auch immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln und hast Spaß an neuen Aufgaben?
Ja, das habe ich, absolut! Ehrlicherweise bin ich immer meinem Bauch gefolgt, meine Aufgaben sind eher zu mir gekommen, als dass ich da viel geplant hätte. Aber der rote Faden in alle meinen bisherigen Tätigkeiten ist das Fragen stellen. Ob als Flugbegleiterin oder im Bundeslehrteam oder in der Unternehmensberatung bei der Frage: Wie bekomme ich alle Stakeholder auf einen Nenner? Und zum Thema Fragen stellen: Man muss kein Coach sein (ich bin es auch nicht und ich mag das Wort auch nicht) um anderen Menschen weiterhelfen zu können. Wichtig ist, dass jemand in bestimmten Situationen nicht so tief drinsteckt, wie man selber – nur dann kann man die Helikopter-Perspektive einnehmen und gute Fragen stellen.
Welche Aufgabe war bisher Deine größte Herausforderung?
Ich musste in die Rolle als getrennt-erziehende Mutter hineinwachsen. Gerade beim Thema Mutter werden und eine gute Mutter sein, vermittelt die Gesellschaft noch viele falsche Werte. Wenn Du auf Dich schaust, wirst Du oft als egoistisch abgestempelt. Das haben wir tiefen-kulturell verinnerlicht als Frauen. Ich finde: Man sollte sich jeden Tag eine Weile Zeit nur für sich nehmen und das auch zur Priorität machen. Und wenn es nur 20 Minuten Laufen oder 10 Minuten Yoga sind. Man sollte seinen Kindern zeigen als Mama, dass man sich auch super um sich selbst kümmert und dadurch ein Vorbild sein. Da liegt noch ein weiter Weg vor uns! Jeder ist unsicher, keiner weiß, wie es geht und da hilft es nicht, dass unsere Gesellschaft so vergleichs- und leistungsorientiert ist und wir uns gegenseitig die Schuld zuweisen. Gerade als Mutter und beim Thema Mental Load hilft es auch einfach aufschreiben, was man tatsächlich den ganzen Tag alles leistet. Für diese Art von Arbeit ist noch viel zu wenig Wertschätzung da!
Was rätst Du unseren Blog-Lesern, wenn sie in einer Situation stecken, die ich festgefahren anfühlt?
Der wichtigste Schritt ist die Achtsamkeit, das Bewusstwerden der eigenen Muster und Verhaltensweisen. Eine einfache Aufgabe für Jeden: Zwei Wochen lang detailliert aufschreiben, was man gemacht hat. Dann die einzelnen Tätigkeiten aufgliedern in die beiden Bereiche – was hat mir Energie gegeben und was hat mir Energie genommen? So kann man herausfinden, welche Rollen einem im Alltag Spaß machen. Wenn man das selbst reflektiert und dezidiert herunterschreibt (oder zeichnet und fotografiert) werden diese Muster sichtbar.
Und man merkt, was einem wirklich guttut und was nicht. Es geht darum, das innere Radio lauter zu drehen und die Gesellschaft, die Stimmen von außen, leiser werden zu lassen. Wie ist denn mein “Energie-Tank” gerade gefüllt? Läuft er fast schon über oder komme ich gerade noch so an mein Ziel? Wie sieht es bei mir aus in den Bereichen Liebe, Arbeit, Spaß und Gesundheit? Habe ich Kapazität, eines meiner Themen anzugehen? Wenn Nein, wie schaffe ich mir den Raum und die Zeit, um das Thema anzugehen? Wenn man sich einmal die Mühe gemacht und die Muster erkannt hat, tut man sich auch sehr viel leichter, Grenzen zu setzen und gewisse Dinge dem Arbeitgeber, Freunden oder der Familie in Klarheit darzulegen.
Vielen Dank für das schöne Interview, Anna!