Auf unserem Post zur Mammut Peak Project Tour der Bergfreunde vor ein paar Wochen bekamen wir in einem Kommentar die Frage eines Lesers zu den heute gültigen Ansichten zum Thema Anseilen auf Hochtouren. Auslöser war dabei unser Gipfelfoto vom Alphubel (siehe links). Da bei uns (noch) kein Übungsleiter Hochtouren oder Bergführer arbeitet, habe ich unserem Bergführer bei der Peak Project Tour, Julian, eine Mail geschrieben, und ihn um seine fachmännische Antwort gebeten.
Die Frage unseres Lesers Thomas zum Anseilen
“Ich meine gelesen zu haben, bspw. in “Sicherheit und Risiko in Fels und Eis” von Pit Schubert, dass Gehen in Seilschaft zumindest auf Steilstücken im Schnee nicht (mehr) empfohlen wird, da das Risiko von Mitreißunfällen zu hoch ist. (Der Autor referiert da bspw. Tests, die der DAV diesbezüglich durchgeführt hat. Mit dem Ergebnis, dass Stürze auf steilen Schneefeldern fast niemals von der Seilschaft gehalten werden können.)
Ich frage deshalb, weil ich persönlich keinerlei Hochtourenerfahrung im Schnee habe, auf Fotos in Bergsteigerzeitschriften oder Blogs wie diesem hier aber immer wieder Seilschaften ohne Sicherung über Fixpunkt im steilen Schneegelände sehe.”
(Schön war auch das kürzlich gesehene Foto in einer Werbebroschüre, bei dem der Bergführer die in einer Kletterpassage nachkommenden Touristen über seinen Körper gesichert hat… Ein bisschen so, wie der Kollege ganz rechts auf dem Gipfelfoto ;-)
Unser Bergführer Julian
Besagter Kollege rechts auf dem Bild ist Julian Beermann, augebildeter Bergführer (IVBV) und Mitarbeiter der Mammut Alpine School. Zusammen mit zwei Kollegen hat er Anfang Juli unsere Tour auf das Allalinhorn und den Alphubel geführt. Ihm hatte ich Thomas´ Frage weitergeleitet, und natürlich gibt es keine einfache Antwort à la ja oder nein. Deshalb erhielt ich eine recht umfangreiche Mail von ihm:
Beim Spaltensturz
Grundsätzlich gilt es auf Hochtour, was das Anseilen angeht, immer abzuwägen, was die momentane Hauptgefahr darstellt. Ist das ein Spaltensturz, dann ist die Sache relativ simpel. Hier wird, mit der Gruppengrösse entsprechenden Abständen, von 8 bis ca. 20 m angeseilt.
In einer Firn- oder Schneeflanke
In einer steilen Firn- oder Schneeflanke haben wir mit dieser Anseilmethode aber keine Chance, eine ins Rutschen gekommene Person zu stoppen, da sie unter Umständen bereits zu viel Fahrt aufgenommen hat.
Hier haben wir im Prinzip drei Möglichkeiten:
- Gehen am kurzen Seil: Der Abstand zwischen den einzelnen Personen beträgt max. 2 m. Ziel ist hier, einen Absturz bereits im Ansatz zu stoppen. Das erfordert viel Erfahrung und Übung. Voraussetzung für diese Technik ist, dass der Seilschaftsführende den Folgenden im Gelände deutlich überlegen, und die Größe der Seilschaft dem Gelände angepasst ist. Das Gehen am kurzen Seil wird im Laufe der Bergführerausbildung lange und sehr intensiv trainiert. Ohne dieses intensive Training und die daraus resultierende Kenntnis der eigenen Grenzen ist von dieser Technik eher abzuraten.
2. Gehen von Fixpunkt zu Fixpunkt: Was das Risiko eines Absturzes betrifft, ist das Sichern von Fixpunkt zu Fixpunkt wohl die sicherste Variante. Hier muss aber sichergestellt werden, dass die Fixpunkte zuverlässig sind. Aufgrund des hohen Zeitaufwandes ist eine durchgehende Verwendung dieser Technik auf vielen Touren schlichtweg unmöglich, bzw. stellt durch den Zeitfaktor wieder ein erhöhtes Risiko dar. Ein gutes Beispiel ist hier z.B. das Matterhorn: Seilschaften, die hier das absturzgefährdete Gelände (und das ist ein Großteil der Tour) komplett in Seillängen klettern, haben keine Chance, in einem Tag auf den Gipfel und wieder hinunter zu kommen.
3. Seilfrei: Je nach Gelände kann es für private Seilschaften am sinnvollsten sein, steilere Passagen in Schnee und Firn ohne Seilsicherung zu gehen. Wie gesagt ist eine Grundvoraussetzung fürs kurze Seil die deutliche technische und konditionelle Überlegenheit des Führers (er muss jederzeit in der Lage sein, einen Sturz im Ansatz zu verhindern). Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, das Gelände aber nicht besonders anspruchsvoll, dann hat eine unangeseilte Person gegenüber einer ins Rutschen gekommenen Seilschaft den Vorteil, besser stoppen zu können. Gelingt auch das nicht, so hat man (so makaber es auch klingt) zumindest eine Schadensbegrenzung.
Alles in Allem
Die Wahl der richtigen Sicherungstechnik erfordert viel Erfahrung und Aufmerksamkeit. Teilweise können die Anforderungen sich innerhalb weniger Meter komplett ändern. Wer hier richtig entscheiden und handeln kann und dabei noch flott ist, ist ein guter Alpinist. Im Rahmen von Lehrbüchern kann man die verschiedenen Möglichkeiten kennenlernen, deren sichere Anwendung muss aber am besten unter Aufsicht intensiv geübt werden.
Kleine Anmerkung noch zum Gipfelfoto
Es handelt sich hier in keiner Weise um eine Schultersicherung (obwohl diese zum Teil auch noch sinnvoll sein kann…), sondern um eine Seilverkürzung. Was der Bergführer hier um den Körper trägt ist lediglich das momentan nicht verwendete Restseil…