Eines der schönsten Elemente des Kletterns sind für mich die dynamischen Sprünge oder Züge. Dynamische Bewegungen fordern nicht nur eine aufgewärmte Muskulatur, sondern auch einen stabilen und muskulär gut trainierten Schulterbereich. Unsere flexibelsten Gelenke formen die Schulter und ermöglichen ihren großen Bewegungsumfang. Fünf Gelenke, Bänder, Sehnen und ein großer und breiter Muskelapparat sichern unsere Bewegungen und Sprünge beim Klettern. Überkopfbewegungen mag unsere Schulter nicht so gerne. Wir fokussieren uns erstmal auf die drei wichtigsten Gelenke, bevor wir zum Training bei einer Schulterverletzung kommen.
Anatomie der Schulter
Das erste Gelenk, das ich euch vorstelle, verbindet unsere Schultergürtel mit dem Rumpfskelett und wird deshalb mediales Gelenk des Schlüsselbeins genannt. Das Brustbein-Schlüsselbein Gelenk ist funktionell ein Kugelgelenk und sorgt für das Vor- und Rückführen sowie das Anheben und Senken der Schulter. Das Gelenk ist „nur“ funktionell ein Kugelgelenk, da die straffen Bänder die Beweglichkeit einschränken.
Weniger mittig in unserem Körper und eher an der Außenkante unserer Schultern liegt das Schultereckgelenk. Man bezeichnet es medizinisch auch als das laterale Gelenk des Schlüsselbeins. Das Gelenk ist an der Rotation des Schlüsselbeins wie auch an der Hebung unseres Arms über die Schulterhöhe beteiligt.
Das eigentliche Schultergelenk wird gebildet vom Oberarmkopf und der kleinen Gelenkfläche am äußeren, unteren Teil des Schulterblatts.
Durch die kleine und flache Gelenkfläche ist das Schultergelenk das beweglichste Gelenk des kompletten Körpers. Doch fördert die geringe knöcherne Führung und die wenigen Bandstrukturen oft das „gewöhnliche“ Auskugeln (Luxieren) des Arms. Unsere Schultergelenke können wir optimal durch eine gut ausgebildete Muskulatur in ihren Funktionen unterstützen und so einer Schulterverletzung vorbeugen.
Training der Schulter
Für Kletterinnen und Kletterer ist es besonders wichtig, die Muskulatur gut zu trainieren und flexibel zu halten.
„Es ist hilfreich, die schulterzentrierende Muskulatur zu trainieren. Das sind im Wesentlichen die außen- und innendrehenden Muskeln. Ganz gut lassen sich diese Übungen mit einem Thera-Band machen.
Weniger sollte man die Arme in der Abduktion kräftigen. Auch hilft das Thera-Band beim Trainieren des Delta Muskels sowie der Pectoralis Muskeln. Das ist sozusagen die Prämium-Muskulatur zum Schutz der Schulter.“ Dr. med. Andreas Thannheimer, Klinikum Garmisch-Partenkirchen
Zu Beginn einer Route in der Halle oder im Gelände solltet ihr das Aufwärmen nicht vergessen.
Das Bewegen einer kalten, nicht aufgewärmten Muskulatur kann zu Mikroverletzungen führen, die dann wiederum im Ganzen Folgeschäden mit sich bringen können. Das Aufwärmen im Klettersport im Schulterbereich ist unabdingbar und sollte nicht unterschätzt werden.
Schmerzen durch angeborene Schulter-Anatomie
Es gibt Personen, die nach dem Klettern und vor allem durch die Überkopfbewegungen Schmerzen bekommen. Dies kann leider auch angeborene und anatomische Gründe haben.
„Es gibt Patienten, bei denen durch ein ausladendes Schulterdach bei Überkopfbewegungen frühzeitig ein Kontakt zwischen Rollhügel und Schulterdach entsteht, was gerade bei Kletterern zu Beschwerden führen kann. Sie sollten die schmerzauslösenden Belastungen reduzieren. Wenn es nicht besser wird oder wiederholt auftritt, sollten sie sich ärztlich untersuchen lassen. Manchmal muss dann abgewogen werden, ob es sinnvoll ist, weiter zu klettern, oder eventuell eine andere Bergsportart zu wählen.“ Dr. Andreas Thannheimer, Klinikum Garmisch-Partenkirchen
Schulterluxation / ausgekugelte Schulter
Wenn doch mal etwas schiefgeht und ihr auf die Schulter stürzt, können es je nach Höhe schwere oder leichte Schulterverletzungen sein.
Das Auskugeln der Schulter ist die häufigste Sportverletzung. Das Schultergelenk bzw. der Oberarm luxiert durch die hohe Flexibilität und geringe Führung recht schnell.
Durch einen Sturz oder auch nur das Abrutschen mit noch fixierter Hand an einem Griff könnt ihr euren Arm aus dem Gelenk bringen. Doch Schulterluxationen verheilen bei geringer Gewalteinwirkung recht gut. Im Klettersport kann es auch oft etwas heftiger sein.
„Schulterluxationen bei jungen Patienten (unter 30 Jahren) werden in der Regel operiert, da das Risiko einer erneuten Luxation alleine aufgrund der noch vor dem Patienten liegenden Lebenszeit höher ist. Bei älteren Patienten nimmt im Gegenzug die Elastizität des Gewebes ab und Vernarbungsprozesse nehmen zu, was wiederum die Stabilität erhöht und eine OP meist unnötig macht.“ Dr. med. Andreas Thannheimer, Klinikum Garmisch-Partenkirchen
Schlüsselbeinfraktur / Schulterbeinbruch
Neben Luxationen können Schlüsselbeinfrakturen schnell durch Stürze oder starken Wandkontakt passieren. Ein Bruch am Schlüsselbein wird in der Regel konservativ behandelt und kann problemlos ausheilen. In den OP-Saal schiebt man euch erst, wenn es komplexere Frakturen sind oder eure Haut durch den Aufprall beschädigt ist.
„Bei Schlüsselbeinfrakturen ist es häufig so, dass diese konservativ behandelt werden können. Mögliche Gründe, zu operieren sind eine Verschiebung, ein mehrteiliger Bruch und natürlich offene Schulterverletzungen.“ Dr. med. Andreas Thannheimer, Klinikum Garmisch-Partenkirchen
Schultereckgelenksprengung
Durch einen direkten Aufprall auf die Schulter können sich neben Schulterluxationen und Schlüsselbeinfrakturen auch unsere Schultereckgelenke verletzen. Je nach Schwere sprechen Ärztinnen und Ärzte von Schultereckgelenkssprengungen. Das Schultereckgelenk liegt an der oberen Außenseite unsere Schulter. Dort wird das Schlüsselbein mit dem Pfannendach „verbunden“. Das Eckgelenk ist beim Heben des Arms überkopf beteiligt. Beim Klettern unterstützt es die Überkopfbewegungen maßgeblich.
Die Verletzungen am Schultereckgelenk, seien es Frakturen oder Verschiebungen bringen häufig auch Verletzungen der stabilisierenden Bänder mit sich. Diese werden in verschiedene Schweregrade klassifiziert (Rockwood 1-6). Etwas laienhaft zusammengefasst werden Verletzungen der Bänder konservativ behandelt, wenn sie nur überdehnt oder teilweise gerissen sind. Stärkere Schulterverletzungen, die auch von außen zu ertasten sind, werden operiert. Auch wird hier wieder nach eurer Aktivität, Sportlichkeit und eurem Alter entschieden, welche operativen Maßnahmen notwendig sind.
Symptome bei einer Schultereckgelenksverletzung sind eine stark eingeschränkte Beweglichkeit der Schulter, Blutergüsse, Schwellungen und starke Schmerzen. Eventuell lässt sich eine Vorwölbung des Schlüsselbeins am äußeren Ende erkennen.
Auch bei einem Aufprall auf die Schulter könnt ihr euch die Schulterpfanne brechen:
„Knöcherne Verletzungen an der Gelenkspfanne werden häufig operiert. Je größer ein Knochenfragment ist, desto ausgeprägter ist meist auch die Gelenkinstabilität. Die Stabilität wieder herzustellen ist dann das Ziel der operativen Therapie.“ Dr. med Andreas Thannheimer, Klinikum-Garmisch-Partenkirchen
Natürlich können, je nach Energie, die auf euren Schulterbereich einwirkt und je nach Höhe des Sturzes Kombinationen von Brüchen, geschädigten Bändern und Luxationen entstehen. Bei Brüchen am Oberarm wird wieder je nach Alter der Person bei der Behandlung unterschieden.
Was tun im Ernstfall?
Leichtere Schulterverletzungen lassen sich gut selbst oder mit Hilfe anderer Personen versorgen. Wichtig ist, in Ruhe zu schauen und zu klären, was passiert ist. Dazu sind folgende Fragen zu beantworten:
- Ist die Bewegung stark eingeschränkt?
- Wo sind die Schmerzen?
- Sind Fehlstellungen zu sehen?
- Schwellen Arm oder Schulter rasch an?
- Wie fühlen sich die Finger an?
- Gibt es Taubheitsgefühle?
Taubheitsgefühl oder blutende Wunde?
Wenn ihr Taubheitsgefühle, eine verschobene oder offene und stark blutende Wunde habt, solltet ihr schnellstmöglich die Bergwacht informieren. Weit weg vom Handynetz und Hilfemöglichkeit können Luxationen auch selbst eingerenkt werden, sofern ihr es schon einmal gemacht habt. Bei leichteren Schulterverletzungen ist es ähnlich wie bei Verletzungen der unteren Extremitäten:
Die Schulter ist zu schonen. Der Oberkörper sollte hochgelagert werden. Offene Wunden sind bei groben Verunreinigungen mit Wasser auszuspülen und möglichst abzudecken.
In den Bergen auf die Schulter oder den Arm stürzen, hat genau einen Vorteil. Je nach Verletzung lässt es sich immer noch zur nächsten Berghütte oder Nothilfe laufen.
Starke Schwellung des verletzten Körperteils?
Einen Hinweis auf schwere Verletzungen gibt das starke und schnelle Anschwellen des verletzten Körperteils. Das ist ein Zeichen dafür, dass eine starke Blutung eingetreten ist. Handelt es sich ausschließlich um Prellungen, so schwellen diese in der Regel nicht innerhalb von Minuten an. Leichtere Verletzungen kann und sollte man im Tal versorgen. Je nach körperlicher Verfassung ist es ratsam, nach Verletzungen und Stürzen abzusteigen und die Tour nicht fortzusetzen. Bei allem Stress, Schmerz und Schock ist es notwendig zu schauen, ob wirklich die Rettungsmittel der Bergwacht beizuholen sind.
Wann wird operiert?
„Brüche am Oberarm und Oberarmkopf werden bei jüngeren Verletzten in der Regel operiert. Wir versuchen eine möglichst anatomische Wiederherstellung, sodass die Person wieder eine hohe Funktionalität erlangen kann und das Risiko der Entwicklung einer Arthrose gering bleibt. Bei älteren Patientinnen und Patienten können Verschiebungen besser toleriert werden und führen im Langzeitverlauf nach konservativer wie operativer Therapie oft zum gleichen Ergebnis.“ Dr.med. Andreas Thannheimer, Klinikum Garmisch-Partenkirchen
Fazit: Wann sollte man ein Krankenhaus aufsuchen?
Das Ausheilen von Schulterverletzungen kann je nach Schwere stark variieren. Handeln und ein Krankenhaus aufsuchen, solltet ihr bei:
- Offenen Wunden
- Verschiebungen der Knochen
- Funktionsverlust der Schulter
- Gefühlsverlust – Sensibilitätsstörungen
- Taubheit in/um die Schulterregion
- Kälterwerden der Hand oder der Finger
- Starken Schmerzen
Es kann auch sein, dass die lokalen Schmerzen erst nach einiger Zeit unerträglich werden, wenn sie beispielsweise durch andere körperliche Reaktionen zunächst überdeckt worden sind.
Zum Ende dieser Schulterexpedition noch ein Merksatz:
Junge Personen bis 30 Jahre verletzen sich meist knöchern, da die Gelenke noch wenig vernarbt sind. Ältere Personen hingegen schädigen und reißen sich meistens die Sehnen, da die Gelenke und Gelenkstrukturen schon vernarbter und damit „stabiler“ sind.
Bei so viel Verletzlichkeit unserer Schulter ist es umso wichtiger, dass wir die Schulterregion gut trainieren, flexibel halten und nicht überstrapazieren. Nur so ist sie zwar fragil, gleichzeitig aber gut gekräftigt und entsprechend gut gewappnet.