Die Geschichte des Steinbocks ist ein wenig kompliziert und führt uns in entlegene Gebiete unseres Kontinents. Außerdem ist sie eine Geschichte von einer nur knapp verhinderten Ausrottung, gekauften Wilderern und potenzsteigernden Mitteln. Sie handelt von Diebstahl, Ötzis letzter Mahlzeit und nicht zuletzt von einem beeindruckenden Tier der Berge, das bis heute die Menschen in seinen Bann zieht. Alles was es über den Steinbock sonst noch zu wissen gibt, und wie der König der Berge letztendlich von einem „richtigen“ König gerettet wurde, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Daten und Fakten
Zu den Steinböcken zählen mehrere Arten aus der Gattung der Ziegen. Diese hat jedoch eine äußerst komplexe Systematik, wodurch die Verwandtschaft der einzelnen Steinbockarten untereinander auch nur schwer zu erklären ist. Insgesamt gibt es sieben Arten, die den Namen „Steinbock“ tragen, was jedoch nicht auf den Grad der Verwandtschaft schließen lässt.
Hierzu ein Beispiel: Während der Alpensteinbock mit seinem geografisch nächstgelegenen Nachbarn, dem Iberiensteinbock, relativ nah verwandt ist, ist der Westkaukasische Steinbock deutlich enger mit der dort heimischen Wildziege verwandt, als mit seinem direkten Nachbarn, dem Ostkaukasischen Steinbock.
Wie genau die einzelnen Steinbockarten untereinander verwandt sind und wo genau sie in der Systematik einzuordnen sind, wird immer wieder durch genetische Studien erforscht und ist bislang nicht abschließend geklärt. Wir machen es daher wie so oft und greifen uns mit dem Alpensteinbock einen Vertreter dieser Gruppe heraus.
Alpensteinbock (Capra ibex), auch Gemeiner Steinbock
Familie: Hornträger
Unterfamilie: Antilopinae
Tribus: Ziegenartige
Gattung: Ziegen
Art: Alpensteinbock
Kopf-Rumpf-Länge: ca. 150 cm
Schulterhöhe: Weibchen bis 80 cm, Männchen bis 95 cm
Gewicht: Weibchen 40-50 kg; Männchen 70-120 kg
Besondere Merkmale: Böcke tragen ein großes nach hinten gebogenes Gehörn (Länge bis zu 1 m), Geißen tragen vergleichsweise kurze, nur leicht gebogene Hörner
Lebensraum: Hochgebirge, zwischen Wald- und Eisgrenze
Hauptaktivität: tagsüber
Nahrung: Wildkräuter, Gräser aber auch Sträucher
Brunftzeit: Dezember / Januar
Tragezeit: 5-6 Monate
Lebenserwartung: über 20 Jahre
Bestand im Alpenraum: ca. 45 000
Aussehen und Merkmale
Bei den Steinböcken sind die Männchen deutlich größer und schwerer, als die Weibchen. Während es Böcke problemlos auf ein Gewicht von über 100 kg bringen, wiegen Weibchen in etwa gerade mal die Hälfte. Steinböcke sind Hornträger, wie beispielsweise auch Kühe, Gämsen oder Gazellen. Im Gegensatz zu Geweihträgern, wird das Horn ganzjährig getragen und nicht abgeworfen.
Geißen und Böcke lassen sich neben Größe und Gewicht am einfachsten anhand ihrer Hörner voneinander unterscheiden. Bei den Männchen ist das Gehörn äußerst beeindruckend und kann bis zu einem Meter lang werden, das Gewicht des Gehörns liegt dann etwa bei zehn Kilogramm. Das Gehörn der Weibchen ist mit maximal 30-40 cm Länge deutlich kleiner und dementsprechend auch leichter. Außerdem ist es weniger stark gekrümmt.
Egal ob Bock oder Geiß, das Gehörn wächst bei den Steinböcken ein Leben lang. Gerade bei den Männchen bilden sich dabei deutlich zu erkennende Zuwachsringe, die auf das alter des Tiers schließen lassen.
Alpensteinböcke sind im Winter gräulich gefärbt, das Fell ist außerdem länger und dichter als im Sommer. Hierdurch sind die Tiere gut vor extremer Witterung geschützt. Für die wärmeren Monate erfolgt ein Fellwechsel. Das Sommerfell der Böcke ist dabei dunkelbraun, Weibchen sind eher rötlich oder goldbraun gefärbt. Männliche Tiere tragen außerdem ganzjährig einen Ziegenbart.
Fragt man sich, warum die Steinböcke so gute Kletterer sind, muss man sich nur die Hufe näher ansehen. Steinböcke sind Paarhufer. Ihre Hufe bestehen also aus je zwei Zehen, die getrennt voneinander bewegt werden können. Die Ränder dieser Zehen sind verhornt und dadurch sehr fest, was den Tieren eine gute Trittsicherheit verleiht.
Gleichzeitig sind die Ballen relativ weich und verhindern ein Abrutschen zuverlässig. Hierdurch finden die Tiere auch problemlos in steilem und exponiertem Gelände halt und sind echte Kletterkünstler. Im Gegensatz zu den Gämsen kommen sie weit herum. Steinböcke gelten als ausdauernde Wanderer und bewegen sich nicht selten einen Gebiet von über 100 Quadratkilometern.
Lebensweise und Verbreitungsgebiet
Steinböcke gibt es in Europa, Asien und Afrika. Schauen wir uns also einmal an, wo die einzelnen Arten so durchs Gelände springen:
- Alpensteinbock: Gesamter Alpenraum
- Äthiopischer Steinbock: Zentraläthiopien, Simienberge
- Iberiensteinbock: Iberische Halbinsel, vor allem im Süden und Osten Spaniens
- Nubischer Steinbock: Nordostafrika und Arabische Halbinsel
- Ostkaukasischer Steinbock und Westkaukasischer Steinbock: jeweils östlicher oder westlicher Teil des Kaukasus
- Sibirischer Steinbock: Südliches Russland, westliche Mongolei, Westchina
Aber zurück zum Alpensteinbock: Dieser lebt hoch in den Alpen. Bis zu 20 Weibchen und ihre Jungtiere bilden dabei Herden. Außerdem gibt es reine Junggesellengruppen, ältere Steinböcke sind hingegen Einzelgänger. Weibchen und Männchen treffen nur zur Paarungszeit zusammen. Diese findet in der Regel im Dezember und Januar statt.
Der Brunftzeit voraus gehen Rangordnungskämpfe der männlichen Tiere. Da Steinböcke im Winter aber aufgrund des knappen Nahrungsangebots Energie sparen müssen, werden diese bereits den Sommer über ausgetragen. Diese Kämpfe sehen zwar brutal aus, folgen aber ritualartigen Regeln und sind im Gegensatz zum Kampf der Gämsen nicht lebensbedrohlich.
Steinböcke leben in schroffem und felsigen Terrain in den Höhenlagen der Alpen zwischen Wald- und Eisgrenze. Selten und vor allem in besonders harten Wintern steigen die Tiere zur Nahrungssuche auch in tiefer gelegene Gebiete ab. Die „Wanderwege“ der Steinböcke verlaufen dabei in der Regel durch schwer zugängliches Terrain, über Grate, Gipfel und durch steile Hänge.
Flaches Terrain und Täler werden gemieden. Steinböcke ernähren sich überwiegend von Kräutern und Gräsern, vereinzelt auch von Sträuchern. Bäume hingegen werden von den Steinböcken gemieden und nur im „Notfall“ bei sehr viel Schnee als Nahrungsquelle hinzugezogen. Steinböcke richten daher so gut wie keine Verbissschäden an.
Mensch und Steinbock
Bis zur Jungsteinzeit waren die Steinböcke ein wichtiges Jagdwild der im Alpenraum lebenden Menschen, sowohl das Fell als auch das Fleisch der Tiere wurde dabei verwertet. Kein Wunder also, dass auch in Ötzis Magen entsprechende Spuren gefunden wurden, ein Gericht aus Steinbockfleisch und Farn gilt als seine letzte Mahlzeit.
In der Antike und im Mittelalter wirkten die Alpen auf die Menschen furchteinflößend. Die Vorstellung durch die Alpen reisen zu müssen erweckte mitunter Ängste, was wiederum zur Mythenbildung führte. Rund um die Alpen gibt es seither zahlreiche sagenhafte Erzählungen, die vor allem in der Vergangenheit auch stark vom Volksglauben beeinflusst wurden.
Dem Steinbock, als majestätisches Tier, das hoch in den Bergen lebt, wurden seit jeher besondere Kräfte zugesprochen. Kein Wunder also, dass man sich diese besonderen Kräfte zu eigen machen wollte. Dies wiederum führte zur intensiven Bejagung der Tiere und der Dezimierung der Population bis hin zur drohenden Ausrottung.
Steinböcke wurden dabei aber nicht in erster Linie als Nahrungsquelle gejagt, sondern aus ähnlich bescheuerten Gründen, warum auch heute noch Jagd auf Nashörner und Elefanten gemacht wird: weil der Mensch sich Trophäen, Glücksbringer sowie potenzsteigernde Mittel und Wunderdrogen erhofft. Der Alpensteinbock galt dabei quasi als wandelnde Apotheke. Verwertet wurden alle Bestandteile eines Tiers, mit aus heutiger Sicht teilweise lächerlich wirkenden Versprechungen. Hierzu zwei Beispiele:
- Das Herzkreuz oder Herzknochen: Hierbei handelt es sich um eine Verknöcherung der Scheidewand der Herzkammern, die in den Herzen mancher Paarhufer zu finden ist. Auch in den Herzen von Steinböcken können sich diese Herzkreuze ausbilden, kommen aber bei Weitem nicht bei jedem Tier vor. Entsprechend der damaligen Vorstellung, dass besondere tierische Teile auch besondere Wirkungen auf den Menschen haben können, kam auch das Herzkreuz in den Fokus der Menschen.
Es wurde dabei nicht nur als Talisman getragen, sondern auch in unterschiedlichster und teilweise abenteuerlicher Weise zubereitet als Medizin verwendet. Herzleiden sollten damit geheilt, das Gedächtnis verbessert und die Potenz gesteigert werden. Wissenschaftlich gesehen übrigens ganz großer Quatsch… - Die Bezoarkugel: Steinböcke bilden im Lauf ihres Lebens sogenannte Bezoarkugeln oder auch Magensteine. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Fellresten sowie anderen unverdaulichen Teilen wie beispielsweise Baumharzen. Diese Kugeln verbleiben im Magen der Tiere, beeinträchtigen dessen Gesundheit normalerweise aber nicht. In der Volksmedizin und im allgemeinen Hokuspokus sind diese Kugeln gerne gesehen, weil sie unter anderem, entsprechend zubereitet und eingenommen, vor Vergiftungen schützen sollen. Igitt, echt, bäh.
Lange Rede, kurzer Sinn: Man trieb es mit der Steinbockjagd so wild, dass Anfang des 19. Jahrhunderts nur noch rund 100 Tiere im italienischen Gran Paradiso übrig geblieben waren. Ein schönes Beispiel, wozu Dummheit und Aberglaube führen können. Nur dem Einsatz des Försters Josef Zimmer und dem Naturkundler Albert Girtanner ist es letztlich zu verdanken, dass die Tiere nicht vollends ausgerottet wurden.
Zimmer und Girtanner machten 1820 die Behörden auf die stark gefährdete Population aufmerksam und schafften es so, dass die Steinböcke im Gran Paradiso geschützt wurden. Einen wesentlichen Anteil daran hatte aber auch der damalige italienische König Viktor Emanuel III, der das Gebiet ab den 1850er Jahren zu einem seiner Jagdreviere erklärte und die dort lebenden Steinböcke durch zahlreiche eigens eingestellte Wildhüter (oft ehemalige Wilderer) schützen ließ. Hierdurch konnte sich der Bestand bis Ende des 19. Jahrhunderts auf rund 3000 Tiere erholen.
Mit einer Population von 3000 Tieren Ende des 19. Jahrhunderts war die Gefährdungslage der Art bei Weitem noch nicht vom Tisch und auch die Schweiz wollte die Wiederansiedlung der Steinböcke vorantreiben. Trotz mehrerer Anfragen seitens der Schweiz verweigerte aber Italien den Export entsprechender Tiere und erteilte so den Gesuchen eine vehemente Absage.
Was auf legalem Weg nicht zu bewerkstelligen war, geschah schließlich durch Schmuggel. Bereits 1906 wurden erste Steinböcke illegal zur Zucht in den St. Gallener Tierpark und später nach Interlaken gebracht. Woraufhin bereits in den 1920er Jahren erste erfolgreiche Auswilderungen in den Berner Alpen erfolgten. Außerdem sind aus der selben Dekade erfolgreiche Ansiedlungen aus Österreich und den französischen Seealpen bekannt.
Heute besiedeln die Alpensteinböcke wieder den gesamten Alpenraum und gelten mit einer Gesamtpopulation von rund 45.000 Tieren als nicht gefährdet. In den deutschen Alpen leben insgesamt fünf Steinbockpopulationen mit einem Bestand von nahezu 800 Tieren. Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass auch heute noch alle Steinböcke im Alpenraum Nachfahren der 100 „geretteten“ Tiere vom Gran Paradiso sind.