Mit dem NRW Alpinkader unterwegs zu sein, ist eine coole Sache. Nicht nur, weil ich der Trainer bin und deshalb immer Recht habe. Es ist eigentlich immer lustig, so wie im Sommer 2017 im Schweizer Voralptal: Sebastian kämpft seit Stunden mit der zweiten Seillänge der Techno-Route „The Shield“ (A3, 6c, 7 SL) und Moritz, der ihn sichert, ist gleichermaßen engagiert mit den Mücken.
Genau genommen befinden wir uns in einem kleinen Seitental des Voralptals. Gelegen, man könnte auch sagen versteckt, unterhalb des recht unspektakulären Mittleren Höhenbergs, überragt vom großen Kletterberg Salbitschijen. Aber: Dieses Tal hat es wirklich in sich. Neben vielen Stechmücken gibt es hier sehr sympathische Pflanzen, die einem mitunter zweitgradige Verbrennungen zufügen; und dann gibt es natürlich auch noch diesen perfekten Granitpfeiler, an dem gerade zwei Seilschaften unseres Teams klettern.
Der Rest der Mannschaft ist derweil weiter oben zugange, an einer etwas größeren Wand. Man erreicht diese von der Voralpkurve des Göschenertals in nur eineinhalb Stunden, doch die sind mühevoll. Vielleicht liegt es daran, oder auch an der Vegetation in der Wand, dass sie bisher wenig beachtet wurde. In einem grasigen Riss, nicht weit vom Boden entfernt, finden wir einen alten Fixkeil mit eingeknoteter Reepschnur, was auf einen früheren Versuch hindeutet. Sonst gibt es hier keinerlei menschliche Spuren.
Dave, der Held
Es ist der Sommer 2017. Martin, Charly und ich nehmen uns den unteren Teil der Wand zur Brust. Dieser Bereich ist leicht geneigt, während die Wand oben ordentlich überhängt. Nach einer tollen Platte wird das Gelände für zwei Seillängen – sagen wir mal – ungut.
Nicht nur etwas viel Grünzeug hängt hier in der Wand, sondern auch ein paar lose Schuppen und Blöcke. Als Erstbegeher muss man viele Entscheidungen treffen, unter anderem, was man mit dem losen Zeug tut. Ich persönlich will nicht, dass irgendwann irgendjemand davon zermatscht wird. Also schicken wir es entweder ins Tal, oder wir geben unser Projekt auf, bevor wir richtig losgelegt haben. Aber dafür sieht der obere Teil der Wand zu cool aus.
Dave steht unter uns und gibt per Funk grünes Licht, dass ihn nichts treffen kann. Es ist immer wieder unangenehm die Regel zu brechen, dass man keinen Steinschlag auslösen sollte. Aber abgesehen von Dave kann es in diesem Fall wirklich niemanden treffen…
Teil zwei – jetzt wird’s ernst…
Im Sommer 2018 führt die Reise erneut ins Göschenertal, zum Zeltplatz Mattli, unserem sehr geschätzten Basecamp und Ausgangspunkt, um in wechselnder Besetzung an unserem Projekt weiterzuarbeiten. Klar, klettern spielt dabei auch eine entscheidende Rolle, aber mit dem Anspruch eine gute Route zu hinterlassen trifft es der Begriff „arbeiten“ besser.
Konkret heißt das: einen Zustiegspfad anlegen, Material zur und in die Wand bringen, Fixseile verlegen, die beste Linie austüfteln, Fixpunkte anbringen, Risse ausputzen und so weiter. Es ist cool zu sehen wie alle Gas geben. Ich erlebe sogar den denkwürdigen Moment als Merlin eine Bürste ergreift und zum ersten Mal in seinem Leben putzt…
Blöderweise herrscht nur mal wieder instabiles Sommerwetter. Es ist zwar warm, aber das Wetter ist auch immer wieder für einen Regenschauer oder ein Gewitter gut. Gleichzeitig müssen wir länger am Stück in der Wand bleiben, denn sonst geht’s nicht richtig voran. Am großen Band nach der dritten Seillänge richten wir uns ein komfortables Lager ein, mit Portaledge samt Fly und einer zusätzlichen Plane, unter der wir uns zurückziehen können. Alles ist angerichtet. Jetzt wird’s ernst.
Techno-Spielchen und Fettnäpfchen
Die Seillängen vier und fünf haben es in sich sich. Zuerst diese Rissverschneidung, in der sich über 35 m kaum ein solider Fixpunkt anbringen lässt, dann eine kürzere Länge, die allerdings knifflig und anstrengend ist. An dieser Stelle hinterlassen wir einen der wenig gebohrten Zwischenhaken (den ersten nach der Einstiegsplatte) und einen fixierten Beak. So ist diese Länge nur circa A3+ und nicht A4 (oder mehr), aber ich denke dennoch, dass sich die wenigsten Wiederholer hier langweilen werden.
Bei den Gefahren, die eine Bigwall-Erstbegehung mit sich bringt, denken die wenigsten an Fettnäpfchen. Michaela fand meinen Witz an diesem Morgen, sie sei nur zum Kaffeekochen mit in der Wand, nicht so lustig (wirklich sehr unpassend, aber kann ja mal passieren…). Tatsächlich begleitet sie uns ein paar Tage, sagen wir mal im Rahmen eines Bigwall-Praktikums.
Jetzt ist sie noch ein bisschen wütend – ein idealer Zustand, um sie auf den nächsten zugewachsenen Riss loszulassen. Dieser führt sie direkt zum großen Dach, dem markantesten Detail der Wand. Nach gut 10 Metern Gartenarbeit bricht ihr ein Fixpunkt aus und sie fällt ins Leere. Ich werfe ihr ein Seil zu und ziehe sie zurück zum Stand.
Moritz übernimmt und meistert den Rest dieser spektakulären Seillänge – wir nennen sie „Great-Roof-Pitch“ – gewohnt souverän. Wir installieren ein Fixseil und seilen ab. Dabei stellt sich die Frage, ob man ohne Fixseil überhaupt runter kommt, denn selbst mit zwei sehr langen Seilen erreicht man die Wand unterhalb des Dachs wohl nicht mehr.
Und dann auch noch der Chockstone Crack
Sascha und Charly haben sich in Stellung gebracht. Ihr Portaledge hängt regensicher am Standplatz unterm „Great Roof“. Aber auch sie werden in der Folge nichts geschenkt bekommen. Die Wand bleibt steil und wild. Die achte Seillänge folgt einem immer breiter werdenden Riss. Als der 6er-Cam zu klein wird, sollen zwei eingeklemmte Felsbrocken zur Fortbewegung herhalten, doch die drohen aus der Wand zu fallen. Also nochmal bohren.
Es folgt ein Pendelquergang im überhängenden Gelände, eine unheimliche „A3-Schuppe“ und ein langer Runout. Nach 60 Metern ein perfekter Standplatz. Danach folgt noch eine Seillänge und ein letzter Cliff-Zug unter der großen Felsnase, die man schon vom Tal aus sehen konnte. Die letzten Meter sind ein Hakenriss. Alles löst sich perfekt auf. Welch ein Lohn für Einsatz, Schinderei, und – bei mir natürlich nicht, nur bei den Jungs – für den ein oder anderen Tropfen Angstschweiß! Yeah, so läuft das im Mosquito Circus!
Weitere Infos zur Erstbegehung und Einrichtung des Mosquito Circus (A3+, 6c, 285m).
Routenbeschreibung
- SL: 45 m 6c A2 bzw. 7a+ (linke Variante) oder 6c A2+ (rechte Variante). Erst Freikletterei in großer Platte, dann entweder nach links zur Schuppe (einfacher) oder rechtshaltend mit 2 x Bathook zum feinen Riss (besser).
- SL: 20 m A1 und 4. Dreckrampe und Podeste.
- SL: 40 m A1 und 4+. Linkshaltend bis zu Band, dort nach rechts queren zum „Ersten großen Band“.
- SL: 40 m A3+. Viele mittlere Pecker und mittlere Knifeblades. Erst Verschneidung, dann Rechtsquerung an Cam-Schuppe zum Stand: Achtung: am Ende der SL unbedingt den Bogen über links klettern, nicht direkt zum Stand, wegen loser Riesenschuppe!
- SL: 25 m A3+ und 4. Links haltend in überhängende Platte mit 8-mm-Bolt und fixiertem Pecker. Zuletzt einfach zum Stand.
- SL: 45 m A2+ und 4 „Great-Roof-Pitch“. Feiner Riss in der rechten Wand – luftig.
- SL: 10 m „Zweites großes Band“. Querung nach links. Offensichtlicher Stand an Cams.
- SL: 60 m A3 und 4 „Chockstone-Crack“. Geschwungener Offwith-Riss. Achtung, die Klemmsteine sind locker. Pendelquergang an Bolt zu heikler Schuppe.
- SL: 40 m 5 A2 „Nose“. Markanter Riss, Dachquerung nach rechts, kurze Ausstiegsverschneidung. Stand an Block.
Abstieg
Abstieg entweder über den Gipfel des Mittleren Höhenberges (20-30 min vom Ausstieg der Route) und Salbithütte oder besser durch Abseilen über die Route, beziehungsweise Abseilpiste.
Abseilen
- SL 9 und SL 8 seilt man direkt ab (35 m, 55 m)
- SL 7 zurückqueren zum 6. Stand („Zweites großes Band“)
- 16 m zu Abseilstand mit Fixseil an der Dachkante des „Great Roof“
- 20 m abseilen und sich zum Stand unterm Dach ziehen
- 42 m zum „Ersten Großen Band“
- 20 m direkt runter zu Podest
- 50 m zu kleinem Absatz
- 20 m zum Boden
Absicherung und Material
Die Stände sind gebohrt (jeweils zwei 10er-Bolts), abgesehen vom Cam-Stand am „Zweiten großen Band“. Außerdem stecken vereinzelt gebohrte Zwischenhaken und Schlaghaken (bitte nicht entfernen). Inklusiv Standhaken sind es im Schnitt drei Bohrhaken pro Länge. Davon wurde nur knapp die Hälfte während der Erstbegehung gesetzt, der Rest nachgebohrt, mit dem Gedanken, einzelne Stellen zu entschärfen und den Materialaufwand für Wiederholer in einem angemessenen Rahmen zu halten. Mit dem aufgeführten Material lässt sich die Route jetzt weitestgehend gut absichern.
- 60-m-Seile
- 2 x Cam #0.1 (besser Aliens)
- 3 x Cam #0.2–0.5 (besser Aliens)
- 2 x Cam #0.75–4
- 1 x Cam #5
- Rock 3–7
- kleines Set Micro-Offset-Keile
- 9 Beaks (1 x groß, 4 x mittel, 4 x klein)
- 10 Knifeblades, verschiedene Längen und Dicken
- 2–3 LAs, eher dünn
- 2–3 Angles, eher dünn
- 1–2 x Talon
- 1 x Grappling Hook o. Ä.
- Drahtbürste und Fugenkratzer
- Mückenspray
- für den Zustieg feste Schuhe und dünne Lederhandschuhe
Tipps und Taktik
Schnelle Seilschaften können die Route in zwei Tagen (Tal bis Tal) klettern. Biwak dann am besten am „Ersten großen Band“ (nach der 3. SL). Für die meisten Teams wird wohl ein weiteres Biwak fällig.
- Die sichere Variante: Biwakzeug bis zum „Zweiten großen Band“ mitnehmen.
- Die leichte Variante: Biwakzeug am „Ersten großen Band“ lassen und Gas geben. Die Cams #4–5, den 3. Satz #0.2–0.5 und 1 x #3 kann man bis zur „Great-Roof-Pitch“ im Haulbag lassen.
Zustieg und Einstieg
Von der Voralpkurve (1402 m, Parkplatz und Bushaltestelle) dem Weg zur Voralphütte folgen. Nach 20 min Gatter, kurz darauf Doppelkehre. 13 m nach der zweiten Kehre weglos rechts hoch in schwache Waldschneise (ca. 1565 m). Den Steinmännern folgen bis kurz vor den Einstieg der Route Traumschiff. Weiter zum Einstieg von Muja Hedder. Nun tendenziell rechts halten, an der Wand entlang (Wegspuren, vereinzelt kurze Fixseile). Nicht links im großen Couloir gehen (Steinschlaggefahr, mühevoll). Mit Bigwall-Gepäck insgesamt ca. 1,5 h. Einstieg auf ca. 1820 m bei dem kleinen Vorbau der markanten großen Platte (einzelner Bohrhaken).