Schaut man sich die Heckscheiben deutscher VW-Busse und Wohnmobile an, prangt auf gefühlt jedem Zweiten ein Korsika-Aufkleber. Er scheint bei den „Bullis“ eine Art Zugehörigkeitszeichen zu sein – ähnlich wie der Sylt-Aufkleber auf bürgerlichen Mittelklasselimousinen.
Sardinien habe ich noch auf keinem Auto gesehen. Warum eigentlich? Vielleicht, weil Korsika höhere und spektakulärere Berge hat? Kann sein, doch vermutlich liegt es einfach daran, dass Korsika von uns aus „näher dran“ liegt und schneller zu erreichen ist. Abgesehen von der Höhe der Berge gibt es ansonsten wenig Grund, weswegen die große Schwester Sardinia sich hinter der kleinen Corsica verstecken müsste.
Die Große hat nämlich alles vorzuweisen, was es für eine abwechslungsreiche Reise braucht: weiße Sandstrände mit smaragdfarbenem Meerwasser, malerische Städte und urige Bergdörfer mit reicher Kultur und Geschichte, mediterrane Wälder und Felsen, Hügel, Berge in allen Formen und Farben.
Immerhin lässt sich schon ab etwa 30 Euro pro Tag ein schotterpistentauglicher Untersatz inklusive Vollversicherung ohne Selbstbeteiligung ergattern. Mit öffentlichem Verkehr kommt man zwar zwischen den Städten und Dörfern durchaus gut herum, doch in den eher abgelegenen, landschaftlich attraktiven Ecken ist das mit enormem (Zeit)Aufwand verbunden. Details dazu bei den vorgeschlagenen Wandertouren und im abschließenden Informationsteil.
Sardinien für Bergfreunde
Man kann Sardinien getrost ein Outdoorparadies nennen, von Bergen über Kletterfelsen bis zu Stränden und Tauchrevieren lädt so ziemlich alles zum draußen sein und Sporteln ein. Für Wanderer bieten Gebirgszüge wie Gennargentu, Supramonte und Limbara große Spielwiesen mit je eigenem Charakter. Sportkletterer, Boulderer und Alpinkletterer finden eine kaum zu überschauende Auswahl an erstklassigem Gestein, vor allem auch in der hier beschriebenen Supramonte-Region. Einen Einblick dazu gibt es beim klettern-Magazin.
Fast hätte ich von „enormer Vielfalt auf engem Raum“ geschrieben, doch das stimmt nur teilweise. Denn obwohl Sardinien auf der großen Südeuropakarte nur eine unter vielen Inseln ist, sind die Entfernungen beachtlich. Tatsächlich bezeichnen manche Reiseautoren Sardinien als „kleinen Kontinent“. Das liegt nicht nur am doch ziemlich beachtlichen Nord-Süd-Durchmesser von 250 Kilometern Luftlinie, sondern auch am eben erwähnten, die Kletterer verzückenden Fels- und Steinreichtum der Insel. Ein solcher Untergrund erfordert unzählige Kurven, sodass der Verkehr vielerorts nur gemächlich dahinrollt. Mit den an jedem Gartenzaun haltenden Nahverkehrsbussen dauert das besonders lang.
Highlight Supramonte
Einen verkehrstechnischen Vorteil hat Sardinien dennoch: es gibt im Osten der Insel nämlich einen Landstrich, an dem Strände vom Feinsten, Sportklettergebiete und wilde, bergige Karstlandschaft nah beieinander liegen. Dieser Landstrich hört auf den klingenden Namen Supramonte.
Hier gibt es große Vielfalt auf engstem Raum. Eigentlich ist das Supramonte eine Hochebene mit tief eingeschnittenen Schluchten und teils schroffen Berggipfeln, von denen einige trotz ihrer eher bescheidenen 1000 bis 1400 Metern mächtige Felsburgen sind. Die Landschaft wirkt so beeindruckend, weil sie „häufig unterbrochen von engen Schluchten, imposanten Kalkgipfeln, weiten Plateaus, tiefen Dolinen sowie versteckten Klammen“ ist. Da ihr zerklüfteter Kalkstein jeden Niederschlag „schluckt“ und in große unterirdische Reservoirs leitet, gibt es so gut wie keine Seen und Flüsse. Nur in der Karstquelle Su Gologone tritt ein Teil des Wassers an die Oberfläche.
Drei Wandertouren
Die folgenden drei Touren habe ich nach Vorabrecherche im Internet und in Reiseführern ausgesucht und begangen. Ich kann sie also unbedingt und wärmstens empfehlen. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, wäre ich noch die eine oder andere Tour an der spektakulären Ostküste zwischen Cala Gonone im Norden und Baunei im Süden gegangen. Dort bieten wilde Klippen, traumhafte Buchten, mächtige Felsbögen und -Nadeln über tiefblauem Wasser einen spektakulären Anblick nach dem anderen. Es gibt eine anspruchsvolle Trekkingtour namens Selvaggio Blu, die den südlichen Teil dieses Küstenabschnitts in vier Tagesetappen bewältigt – Klettersteigpassagen inklusive.
1. Gola Gorropu (Gorropu-Schlucht) von der Passhöhe Genna Silana
- Dauer/ Strecke: 3,5 – 4,5 Std. hin und zurück, je 600 Hm und 4,2 km, zuzüglich Aufenthalt in der Schlucht
- Zufahrt: von Dorgali auf der SS 125 zum Parkplatz auf der Passhöhe des Genna Silana auf 1020 m
Bis zu 500 Meter hohe, teils stark überhängende Felswände, und ein stellenweise nur wenige Meter breiter Schluchtgrund, der in engen Kurven verläuft. Im Grund liegen Steine und Felsbrocken wild aufeinandergewürfelt und in allen Größen herum. Viele von ihnen sind von den nach Regenfällen hier entlang tosenden Wassermassen kugelrund geschliffen.
Einen schönen Zugang zu diesem Naturwunder bietet der beim Parkplatz auf der Passhöhe des Genna Silana startende Wanderweg. Bergab führt der alte Schäferpfad durch schönen Wald mit großen Korkeichen und vorbei an wilden Felsflanken zum Eingang der Schlucht auf 450 m Meereshöhe. Es geht teils steil hinunter, bevor man nach etwa eineinhalb Stunden das Portemonnaie zücken darf: der Eintritt in die Schlucht kostet 5 Euro.
Zwar ist der Blick von vorn in den Schluchteingang auch schon spektakulär, doch mittendrin sind die Eindrücke nochmals intensiver. Der Eintritt lohnt sich also auf jeden Fall, zumal er auch dem Erhalt des sensiblen Naturraums dient. Ich bin etwa 20 Minuten entlang der ersten zwei „Kurven“ der Schlucht hineingelaufen, bis das Gelände nach meinem Empfinden etwas weniger spektakulär wurde. Wer weiter hinein will, kann das natürlich tun, das Gelände soll laut des verpflichtenden „Briefings“ durch die Rangerin technisch und orientierungsmäßig immer anspruchsvoller werden.
Alles in allem ist die Tour nicht nur sehr schön, sondern das Gekraxel und Gewurschtel über die vielen Blöcke im Schluchtgrund ist auch sehr anregend.
Kletterer kennen die Schlucht wegen der Megaroute Hotel Supramonte, die ich etwa 15 Minuten vom Schluchteingang aufwärts gehend auf der linken Seite anhand eines von der Wand baumelnden Seils zu erkennen glaubte. Sie wurde 1998 von Rolando Larcher und Roberto Vigiani eingerichtet, misst 10 Seillängen mit Schwierigkeiten von 7a+ bis 8b und hängt auf ihren etwa 400 Metern Länge an die 100 Meter(!) über. Sie gilt bis heute als eine der schwierigsten alpinen Sportkletterrouten weltweit.
Alternativ kann die Schlucht auch vom Parkplatz Sa Barva im Tal des (nur nach Regen wasserführenden) Riu Flumineddu erreicht werden. Dieser Weg folgt stets dem Talboden und bietet damit vermutlich weniger Aussicht als „meine“ Variante vom Pass aus. Auch die als nächstes vorgestellte Siedlungsstätte am Monte Tiscali ist von Sa Barva aus in 2-3 Stunden Wanderung zu erreichen.
2. Monte Tiscali, 518 m – aus dem Valle Lanaittu
- Dauer/Strecke: 2-3 Std. hin und zurück, je 350 Hm
- Zufahrt: von Nuoro/Oliena oder Dorgali auf der SP 46 zum Abzweig nach Su Gologone. Von dort zunehmend ruppiges Sträßchen ins Lanaittu Tal
Der halbrunde, kraterartige Rest einer vor Jahrtausenden eingestürzten Riesendoline ist der beeindruckende Überbau für die Überreste einer prähistorischen Nuraghensiedlung. „Nuraghe“ bezeichnet sowohl die auf Sardinien überall zu sehenden Turmbauten, deren Zweck umstritten ist, als auch die mit diesen Bauten verbundene bronzezeitliche Kultur, die zwischen 1600 und 200 v. Chr. eine bemerkenswerte Blüte erreichte.
Der Weg dorthin führt durch eine wildschöne Szenerie an Bergen, Tälern und Schluchten. Man folgt zunächst einem Forstweg, dann auf einem immer schmaleren Pfad einigen Serpentinen durch zunehmend felsige Waldflanken. Oben schlüpft man durch eine Felsspalte und schreitet eine natürliche Felsgallerie entlang, bevor sich am Rand der Doline tolle Blicke eröffnen. Kurz vor Erreichen des Ziels gilt es – wie schon in der Gorropu-Schlucht -, die Brieftasche hervorzuholen und 5 Euro beim freundlichen Kassenwart zu zahlen. Das Geld dient dem Erhalt der Stätte und dem Schutz vor (weiterer) Plünderung. Ein abgesteckter Rundgang führt durch diesen erstaunlichen, stimmungsvollen Ort.
Der „Normalweg“ führt ebenfalls von Sa Barva aus dem Tal des Riu Flumineddu hierher. Ich habe den Zugang aus dem malerischen Valle Lanaittu gewählt, da ich diesen besonderen Landstrich erkunden wollte. Auf Schotterpiste bin ich dann den „Tiscali“ Schildern gefolgt, soweit es Schlaglöcher und Radstand zuließen, bis ich bei den GPS-Koordinaten 40.2482053N, 9.4898756E das Auto geparkt habe.
3. Monte Corrasi, 1463 m – von Oliena
- Dauer/Strecke: ca. 3 Std. hin und zurück, je 450 Hm
- Zufahrt: von Nuoro über die SP 22 nach Oliena, dort im Zentrum den Schildern Richtung Via/Monte Corrasi folgen
Bis Oliena ist die Anreise zum höchsten Gipfel des Supramonte auch mit dem Bus möglich, danach führt die abenteuerliche, bald unbefestigte „Via Corrasi“ Richtung Punta sos Nidos. Mit robuster Autobereifung kann man ihr etwa 20 Minuten bis zu einer als Parkplatz nutzbaren Verbreiterung auf ziemlich genau 1000 Metern Höhe folgen. Zu Fuß dauert es hierhin ca. 2 Stunden.
Vom schön gelegenen „Parkplatz“ aus folgt man dem weiterhin recht breiten (und mit Allrad wohl noch weiter befahrbaren) Forstweg, bis er sich am Rande des Supramonte-Hochplateaus in einen Wanderweg verwandelt. Der runde Gipfelrücken ist hier bereits in Sicht und erscheint näher als er ist. Die Beschilderung ist gut und der Pfad auch an schmalen Stellen immer erkennbar, sodass man kaum fürchten muss, sich zu verirren.
Kurz unterhalb des Gipfels wird es mit einigen etwas steileren und steinigeren Stellen zu einer richtigen Bergwanderung. Oben genießt man eine Riesenaussicht über den Supramonte, das benachbarte Gennargentu-Massiv und den zentralen Osten Sardiniens. Auch die Tiefblicke in die steilen Nord- und Westflanken des Supramonte sind beeindruckend. Meerblick ist ebenfalls inklusive.
Praktische Infos
Reisezeit
Sightseeingurlaub mit Landschaft und Kultur geht auf Sardinien das ganze Jahr, für Outdooraction eignen sich Frühjahr und Herbst am besten.
Anreise
Olbia im Nordosten, Sassari im Norwesten und Cagliari im Süden werden von (Billig)Airlines angeflogen. Von Süddeutschland aus ist die Anreise über Land sicher nachhaltiger und – vor allem mit Zwischenstopps in Florenz oder Rom – auch schöner. Beispiel: Meine Rückreise führte von Olbia mit der Tirrenia-Fähre nach Cittavecchia, von dort per Regionalzug nach Rom und von dort wiederum (3 Tage später) mit Flixbus in süddeutsche Gefilde. Die Kosten von gut 80 € lagen in etwa bei denen des Hinflugs.
Mobilität vor Ort
Laut Sardinien-Inside ist das Unterwegssein mit Bus und Bahn auf Sardinien „abenteuerlich“. Selbst mit der recht gut funktionierenden Bahn kann es passieren, dass man zu ungünstigen Tageszeiten an Orten eintrifft und nicht mehr wegkommt. Nach Tickets für Bus und Bahn muss man laut der Seite hauptsächlich in Bars vor Ort Ausschau halten. Immerhin sind die Preise günstig.
Das Bahnnetz erstreckt sich zwischen den größeren Städten, vor allem zwischen Olbia, Sassari, Oristano, Cagliari, Nuoro und Carbonia. Darüber hinaus gibt es unter dem Label Trenino Verde einige Schmalspurbahnen mit teils sehr schöner Streckenführung. Informationen und Tickets für die Hauptstrecken gibt es bei Trenitalia.
Zum Pass Genna Silana (Ausgangspunkt für Tour 1) soll ab Siniscola oder Nuoro das Busunternehmen Arst fahren, allerdings nur einmal täglich (Diese Info ist allerdings einem Michael Müller Wanderführer von 2009 entnommen. Näheres und Aktuelleres dazu eventuell auf der alles andere als einladenden Firmenwebsite, sofern man sich dort zurechtfindet).
Neben Arst betreiben die Firmen Gruppo Turmo Travel und Deplano Bus weitere Linien. Kleinere Unternehmen wie Sun Lines Elite Service, Logudoro Tours, Redentours und Sardabus verkehren nur auf wenigen oder einzelnen Strecken.
Übernachten
Wie bei der Mobilität gilt auch beim Übernachten, dass Sardinien nicht wirklich ein Backpacker-Mekka ist. Dazu gibt es zu wenige gut ausgestattete Campingplätze oder „junge“ Hostel-Dorm-Unterkünfte der Low-Budget Kategorie an strategisch günstigen Orten. Auch die Sportkletterer reisen eher in den eigenen Campern an und herum.
Entlang der Küsten sieht es mit der Auswahl an günstigen Unterkünften besser aus als im Hinterland.
Fazit
Sardinien ist auch für Bergfreunde und Outdoor-Fans allemal eine Reise wert. Vor allem auf Kletterer und Wanderer warten unzählige Möglichkeiten und tolle Eindrücke – von völlig entspannt bis hoch ambitioniert.