Es ist ein echtes Abenteuer – und das jedes Mal aufs neue. Alleine unterwegs zu sein, hat für viele Wanderer und Bergsteiger einen ganz besonderen Reiz. Dennoch ist es für den einen oder anderen schwer nachzuvollziehen, was an einer Solo Tour so fasziniert. Vielleicht könnte ein Einblick in mein letztes Abenteuer etwas mehr Klarheit schaffen. Gerade, wenn ich mich an den vorwurfsvollen und zu gleich besorgten Blick meiner Mutter zurückerinnere… “Musst du das denn alleine machen?”, fragt sie mich, als ich Rucksack, Schlafsack und Bergschuhe ins Auto packe. Aber meine Antwort steht fest – mein Ziel sind die drei Zinnen in den Sextener Dolomiten. Das wird großartig, denke ich mir während der Fahrt. In meiner Magengegend macht sich Vorfreude breit aber auch Skepsis. Was erwartet mich? Erreiche ich das, was ich mir vorgenommen habe?
Der Weg zu sich selbst
Obwohl es bei meiner Ankunft am Startpunkt schon etwas spät geworden ist, packt mich mein Entdeckergeist. Sofort ist klar, ich muss heute noch raus. Voller Enthusiasmus verlasse ich mein Auto, mein heutiges Schlafquartier und wandere los. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich nicht mehr viel Zeit habe, um mein Ziel zu erreichen – die Nordwand der westlichen Zinne aus der Nähe zu betrachten. Es dämmert bereits und der Aufstieg über das Geröllfeld steht noch bevor. Keine Menschenseele weit und breit, um diese Zeit ist hier niemand mehr unterwegs.
Auf das eigene Bauchgefühl verlassen
Wenn man jetzt im Team unterwegs wäre, würde man sich absprechen. Geht man noch hoch oder lässt man es sein. Vier Augen sehen mehr als zwei, vielleicht hat mein Partner ja mehr Erfahrung und ich kann mich auf seine Einschätzung verlassen. Vor allem in einem unbekannten Gebiet ist das sehr beruhigend und angenehm. Doch hier ist niemand, den ich fragen könnte. So muss ich mich auf meine eigene Erfahrung verlassen, vielmehr jedoch auf mein Bauchgefühl. Also steige ich weiter auf. Ich weiß, dass ich gut ausgerüstet bin und wenn es sein muss, im Abstieg noch mal Gas geben kann. Ungern würde ich in die Finsternis kommen und mich auf einem der vielen kleinen Pfade im Geröll verlaufen. Ich ziehe mein Tempo noch mal an und komme durchgeschwitzt am Wandfuß der drei Zinnen an.
Tief durchatmen und genießen
Ich lehne mich an die mächtige Nordwand und atme tief durch. Der Blick der sich mir jetzt bietet ist umwerfend. Über mir thront der ausladende Überhang, unter mir die Zinnenseen, vor mir ein Bergpanorama, das im Moment nicht zu übertreffen ist. Die abendliche Sonne beleuchtet die drei Zinnen in einem warmen Rot wie auch die umliegenden Gipfel. Ich halte diesen Moment mit meiner Kamera fest, setze mich hin und lausche. Ich höre nur den kalten Wind und mein eigenen Atmen.
Es ist so ruhig, dass ich die Stille förmlich hören kann. So als wäre sie greifbar und ich würde Teil von ihr werden. In diesem Moment bin ich eins mit mir selbst und meinem Umfeld, völlige Zufriedenheit erfüllt mich und ich bin frei. Die Zeit jedoch drängt mich zum Umkehren. Ich reiße mich von dem wundervollen Anblick los und beginne mit dem Abstieg. Ein paar Wolken haben sich vor die untergehende Sonne geschoben und beschleunigen die Dämmerung.
Es wird verdammt schnell dunkel und ich bin noch nicht auf dem richtigen Weg. Meine Schritte werden zwar schneller, jedoch bleibe ich ruhig und gelassen. Ich bin Herr der Lage und habe alles im Griff. Im letzten Funken Tageslicht erreiche ich den Weg und nun hüllt mich die Nacht komplett ein. Die Berge um mich rum werden zu großen schwarzen Ungeheuern, die nun bedrohlich auf mich wirken.
Eine andere Form der Meditation
Mein Geist ist absolut wach und nimmt jede kleine Bewegung, jedes Geräusch in meinem Umfeld wahr. Wenn man sich komplett darauf einlässt, sich anpasst und dementsprechend handelt, wird man eins mit der Umwelt. Dann gibt es nur noch das Hier und Jetzt. Dieses Gefühl erlebt man auf Solo Tour oft noch viel intensiver. So ist jeder Weg, den ich alleine gehe, auch immer ein Weg zu mir selbst.
Ich lerne mich und meine eigenen Fähigkeiten intensiv kennen, stoße an Grenzen und muss Verantwortung für mich übernehmen. Zu wissen, dass ich meinen eigenen Fähigkeiten vertrauen kann, beflügelt mich regelrecht und gibt mir gleichzeitig die innere Ausgeglichenheit, die heutzutage oft vielen Menschen fehlt. Ganz nah bei mir selbst zu sein, durch nichts abgelenkt und vollkommen im Moment zu leben. Am Auto angekommen bin, wärmt mich ein Tee, bevor ich mich in den Schlafsack einrolle. Ich habe die leise Befürchtung, dass es eine kalte und somit sehr lange, einsame Nacht wird, denn der Himmel hat aufgeklart und die Sterne funkeln.
Die eigenen Kräfte richtig einschätzen und Risiken vermeiden
Als ich am frühen Morgen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen spüre, ist die unangenehme Nacht mit wenig Schlaf sofort vergessen. Ich freue mich, dass das Wetter besser ist als vorhergesagt. Ich mache mich direkt auf den Weg, um heute das komplette Gebirgsmassiv der drei Zinnen zu umrunden. Um mich herum zieht Nebel vom Tal herauf, als ich das erste Etappenziel der Tour erreiche, die Dreizinnenhütte.
Es geht alles ganz schnell: von einer Sekunde auf die andere haben mich dicke Nebelwolken eingehüllt und obwohl es erst September ist, beginnt es wenig später zu schneien. Zuerst freue ich mich wie ein kleines Kind über den Schnee, dann denke ich an meine Tour. Ein Partner, der mich im Zweifelsfall bremst, fehlt. Einerseits ist dieses Gefühl, zu handeln wie ich es will befreiend, andererseits kann das auch schnell gefährlich werden. Da ich das Risiko für mich ganz alleine trage, lehren mich Solo Touren wachsam zu sein muss und meine Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, um Gefahren zu vermeiden.
Schließlich weiß ich, was zu tun ist und breche ohne groß zu überlegen ab. Man sieht keine 50 Meter weit, obwohl es immer wieder kurze Lichtblicke gibt, bleibt das Wetter unberechenbar. Es fällt mir nicht schwer umzukehren, ohne mein Ziel erreicht zu haben. Im Gegenteil, ich bin vielmehr stolz darauf diese Entscheidung getroffen zu haben.
Allein oder doch lieber zu zweit?
Des Öfteren werde ich gefragt, warum ich alleine auf Tour gehe. Ist alleine Bergsteigen nicht langweilig, einsam oder sogar gefährlich? Zu zweit oder in der Gruppe zu wandern macht unglaublich viel Spaß. Denn eigentlich bin ich ein geselliger Mensch, der sich gern mit Gleichgesinnten umgibt, Erfahrungen austauscht und von Stärkeren lernt.
Ich bin somit kein Einzelgänger der egoistisch und rücksichtslos sein Ding durchziehen muss, um zufrieden zu sein. Vielmehr treibt mich mein unbändiger Freiheitsdrang dazu an, die komfortable Zone einer Gruppe zu verlassen. Alleine am Berg unterwegs zu sein bedeutet für mich absolut fokussiert zu sein, denn schließlich bin ich komplett für mich selbst verantwortlich. Denn dann gibt es niemanden, der neben mir steht und sagt, das ist zu gefährlich, kehr um oder du befindest dich auf dem falschen Weg. Ich muss alle Entscheidungen alleine treffen und auch die Konsequenzen in vollem Umfang tragen.
Auf sich alleine gestellt
Es gibt niemanden, der mich aus einer misslichen Lage befreit. Mit diesem Wissen unterwegs zu sein, schärft meine Sinne und lehrt mich auf mein Bauchgefühl zu hören. Jemanden neben dir zu haben, der im Ernstfall weiß, was zu tun ist, ist durchaus sehr beruhigend. Aber zu wissen, dass meine eigene Einschätzung vertrauenswürdig ist und dass mein Körper funktioniert wie es die Situation verlangt, ist für mich die ultimative Freiheit. Bei jeder Tour, die ich alleine gehe, sammle ich mehr Erfahrungen, die mich reifen lassen und mir die Sicherheit geben mir selbst zu vertrauen.
Als ich mal wieder alleine auf Tour war und den Gipfel erreiche, treffe ich zwei ältere Herren, die gerade ihre Brotzeit genießen. Als auch nach einer viertel Stunde niemand hinter mir auftaucht, fragen sie mich verdutzt: “Ja Mädel, jetzt musst uns aber schon sagen, warum du des alleine machst?! Hast wohl einen greisligen Partner?” Die Direktheit überrascht mich und bringt mich zum Lachen. “Nein, daran liegt es nicht. Ich mache das alleine, weil es mir ab und an gut tut, etwas für mich selbst zu tun und vielleicht auch einfach, weil ich es kann.”
Die beiden nicken sich zu und geben mir Recht: “Mein Kumpel hier, der konnte den ganzen Weg nicht den Mund halten, ständig muss er reden”, wird sogar noch nachgelegt. Es folgt eine hitzige Diskussion darüber wer nun mehr beim Aufstieg geredet hat, ob es eine Einigung gab, werde ich wohl nicht erfahren. Beim Abstieg von den drei Zinnen denke ich aber noch lange über ihre Frage nach. So sehr ich die Zweisamkeit oder Geselligkeit auch liebe, so sehr liebe ich es meine Eigenständigkeit zu fördern und mich selbst herauszufordern.
3 Comments on the Article
Das trifft es aus meiner Sicht genau. Ich kann das absolut nachvollziehen; bin auch häufig aus ähnlichen Beweggründen allein unterwegs gewesen. Das Erlebnis ist um einiges intensiver und es bewegt viel mehr. Auch der Abbruch einer Tour muß kein Scheitern sein, sondern eher Antrieb, sich weiter auszuprobieren. Ist ja unter Umständen ein Zeichen dafür, daß man seine Grenzen kennt und akzeptiert.
... das triffts ziemlich gut auf den Punkt. Auch ich bin sehr gerne alleine unterwegs: Man muss einfach auf niemanden Rücksicht nehmen, kann aber auch niemanden außer sich selbst verantwortlich machen... Um es mit Olli Schulz' Worten zu sagen: "Du bist so lange einsam bis du lernst alleine zu sein" - dann aber hat das Alleinesein etwas zu tiefst beruhigendes. Auf der anderen Seite sind auch Touren mit guten Freunden oder in größeren Gruppen etwas sehr schönes... Es ist kein entweder oder, sondern ein dickes UND. Solo-Toure und Gruppen-Touren ;) Gregor
Hallo, ein guter Beitrag. Bin auch der Meinung das bei Solo Touren eindeutig mehr die Sinne geschärft sind wie in einer Gruppe. Gruß Marian