Ich werde in meinem Bett hoch und runter geworfen, durchgeschüttelt und versuche verzweifelt etwas Schlaf zu finden, um für meine nächste Wache an Deck wieder fit zu sein. Draußen tosen die Wellen gegen die Aluminiumwand unseres 15 m Segelboots und werfen es auf und ab. Immer wieder taucht es in tiefe Wellentäler um dann direkt wieder von der nächsten Welle hochgerissen zu werden. Der Wind zerrt heftig an den mehrfach gerafften Segeln.
Schon vor der Küste Schottlands sind wir in einen Sturm gekommen, der so nicht vorhergesagt wurde. Unser Abenteuer beginnt direkt.
Wir, die Via Sedna, ein Team aus acht Frauen mit verschiedenen Hintergründen, sind gemeinsam auf dem Weg von La Rochelle nach Grönland. Dort wollen wir eine große Felswand, eine Bigwall, erstbegehen. Für die nächsten 2,5 Monate ist die “Northabout”, ein stabiles Expeditionssegelboot unser zu Hause und unser Transportmittel über den Nordatlantik bis in den hohen Norden.
Start der Expedition in La Rochelle
Am 20. Juni haben wir den Hafen von La Rochelle in Richtung Grönland verlassen, nachdem wir zehn Tage lang non-stop unser Boot expeditionsfertig gemacht und mit viel Essen, Wasser und Klettermaterial beladen haben. An Bord vier Seglerinnen, drei Kletterinnen und eine Fotografin. Es ist ein Segeln ins Ungewisse, ins Abenteuer. In diesem Moment konnten wir noch lange nicht erahnen, wie viele Herausforderungen sich uns stellen würden.
Kurz vor der Küste Irlands wartet die erste Herausforderung mit starken Sturmböen und heftigem Wellengang auf uns. Wir schaffen es gerade in den Hafen von Dun Laoghaire im Süden Dublins bevor der Sturm noch stärker wird. Während wir am Anfang froh sind uns erholen zu können und ein paar Nächte ruhig zu schlafen, wird unsere Geduld schnell auf die Probe gestellt.
Wir sind zum Abwarten gezwungen, bis die Stürme aufhören zu toben und uns endlich Richtung Norden weitersegeln lassen. Mehrere Tage vergehen bis wir wieder auf See gehen immer mit dem Ziel Richtung Norden. Zunächst ein paar ruhige Tage segeln in einer grauen Monotonie, die Sonne sehen wir fast nie. Dann zieht der Wind wieder an und das Meer wird aufgewühlter.
Die Zeit scheint nicht mehr zu vergehen. Tagelang wird unser Boot hin- und hergeworfen. Unser Rhythmus folgt nicht mehr Tag und Nacht, sondern passt sich unseren Wachen an. Zu zweit verbringen wir jeweils zwei Stunden an Deck um das Boot zu lenken und zu überwachen, dass es zu keiner Kollision kommt. Andere Boote sehen wir kaum mehr. Wir sind weit draußen, nur umgeben von wilder See und wiederkehrenden Walen, die uns faszinieren.
Je weiter wir nach Norden Segeln umso kürzer werden die Nächte bis sie bald nicht mehr existieren. Das ist sehr angenehm für unsere Nachtwachen. Gleichzeitig nimmt die Temperatur ab und es wird immer härter zwei Stunden lang an Deck Wind und Regen ausgesetzt zu sein.
Zwischenstopp auf Färöer und Weiterreise nach Island
Wir werden bald zu unserem nächsten Stopp gezwungen, da sich ein Tiefdruckgebiet an das nächste reiht und uns starke Stürme senden. Zu stark um mit einem Segelboot zu navigieren. Diesmal suchen wir Schutz auf den Färöer Inseln, einer Inselgruppe weit weg von jeglichem Festland zwischen Schottland und Island.
Wir lernen schnell, dass das Wetter hier geprägt ist von Regen und Wind und Sonne rar ist, selbst im „Hochsommer“, in dem wir nie ohne unsere Daunenjacken das Boot verlassen. Während wir tagelang im Hafen festsitzen und immer mehr Zeit verlieren, kommen Zweifel auf, ob wir es jemals an die Ostküste Grönlands schaffen mit diesem unglaublich schlechtem Wetter.
Mit jedem Tag, den wir länger Warten, verlieren wir Zeit in Grönland, schwindet die Chance dort klettern zu gehen und wird unser Durchhaltevermögen auf die Probe gestellt.
Für mich ist diese Expedition die Erfüllung eines jahrelangen Traums: Dem Traum ohne Flugzeug nach Grönland zu gelangen, um dort eine Bigwall-Erstbegehung durchzuführen. Ein Traum, der gemeinsam mit meiner Freundin und unserer Kapitänin Marta Guemes Gestalt angenommen hat.
Ein Traum, den wir jetzt gerade leben, der sich aber zeitweise in einen Alptraum verwandelt, wenn wir an Land festsitzen und zum Abwarten verdammt sind. Dann bilden sich Zweifel, ob wie jemals in Grönland klettern werden.
Momente in denen sich Frust breit macht: „Warum haben genau wir so einen schlechten Sommer erwischt? Warum erscheint diesen Sommer keines der arktischen Hochdruckgebiete? Warum hört es nicht auf zu stürmen und zu regnen?“.
Wir sind definitiv Zeugen des Klimawandels, Zeugen davon, dass etablierte Wettersysteme aus ihrem Ruder geworfen werden.
Doch wir sind auch ein gut funktionierendes Team, wir unterstützen uns gegenseitig so stark, dass wir den Frust immer wieder abschütteln und mit Humor nehmen. Ohne dieses „DREAMTEAM“ wären wir längst schon an den harten Bedingungen zerbrochen. Aber gemeinsam ziehen wir an einem Strang und gegenseitig muntern wir uns immer wieder auf den Optimismus nicht zu verlieren.
Zwischenstopp in Island mit Klettereinlage
Und dann endlich wieder ein kurzes Wetterfenster, was uns bis nach Island segeln lässt. Wir näheren uns unserem Ziel, doch jetzt taucht nch ein weiterer Faktor auf, der uns bremst:
Die Ostküste Grönlands ist noch zu großen Teilen von Packeis umgeben und die Eisschmelze ist in diesem Jahr einen Monat später als sonst. Es heißt also wieder abwarten. Für uns Kletterinnen wird es immer schwieriger den Optimismus zu behalten, haben wir doch von einer Kletter- und Segelexpedition geträumt und nicht einem monatelangen Segeltrip.
Wir genießen das Segeln, lernen viel dazu und doch ist unsere große Leidenschaft das Klettern und wir leiden langsam unter Entzugserscheinungen. Zweifel kommen auf, ob wir nach unserem wochenlangen Bootsleben überhaupt noch klettern können. Völlig unbegründete Zweifel, haben wir doch auch auf dem Boot weitertrainiert und doch nagen sie an uns.
Die Seglerinnen sind sich dem bewusst und schicken uns sechs Tage in den Süden Islands um dort etwas klettern zu gehen, während sie das Boot noch weiter in den Norden Islands verlegen. Wir klettern in Sturm und Regen bis wir keine Kraft mehr haben, da wir dies so vermisst haben.
Uns völlig zu verausgaben und außerdem die Natur an Land wieder zu spüren: Fels unter den Fingern und Gras unter den Füssen hat einen unglaublich wohltuenden Effekt auf uns. Wir füllen unsere Batterien mit der Droge (dem Klettern), die uns so glücklich macht und sind somit wieder bereit die Geduld fürs Warten und das Ungewisse aufzubringen.
Weiterreise bis Scoresby Sund, Grönland
Und dann endlich nach weiteren drei Tagen segeln, zumeist umgeben von undurchdringlichem Nebel und beißender Kälte sichten wir die ersten Eisberge und endlich die Küste Grönlands. Was für ein unglaublicher Moment, der so ersehnte Moment.
Allerdings versperrt das Packeis uns noch den Weg in den Scoresby Sund, wo dir großen Granitwände auf uns warten. Es heißt also wieder Geduld aufwenden und Warten in einem Fjord etwas weiter im Süden, welcher umrahmt wird von Bergen die in sich zusammen zu fallen scheinen. Eine extrem brüchige, vulkanische Landschaft. Immerhin können wir alle gemeinsam auf einen kleinen Gipfel laufen und zu meiner großen Freude, kann ich mit dem Gleitschirm herunter fliegen.
Plötzlich erscheint auf der Aktualisierung der Eiskarten die Einfahrt in den Fjord machbar und es geht weiter. Die Navigation wird jetzt technisch:
An großen Eisbergen vorbei und durch ein Labyrinth von Eisschollen und Packeis. Gemeinsam mit dem österreichischen Boot „La belle Epoque“ navigieren wir langsam immer weiter in den Fjord hinein, mit der Unwissenheit, ob uns irgendwann das Packeis komplett den Weg versperrt.
Vom Mast herab versuchen wir den Weg in diesem Labyrinth zu erahnen und können dabei unseren ersten Eisbär auf dem Packeis beobachten, beeindruckend!
Um fünf Uhr morgens manövrieren wir unseres Boot nach über 30 h Navigation in eine geschützte Bucht hinein. Die Freude ist groß, da wir nur noch einen Segeltag von unserem Ziel entfernt sind. Doch die Achterbahn der Gefühle geht weiter und die Freude ist schnell verschwunden, während wir zwei Tage im Dauerregen festsitzen und wieder Zeit verlieren.
Landung in Grönland und Zustieg zur Wand
Endlich lässt es das Wetter zu, dass die Seglerinnen uns an Land absetzen. Von nun an beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und das Wetter um unsere Wand erstzubegehen. Wir wissen, dass unsere Zeit limitiert ist, da wir spätestens Mitte August zurück segeln müssen um nicht in die Herbststürme im Nordatlantik zu kommen und wir wissen auch, dass das Wetter dieses Jahr extrem instabil ist.
Zunächst müssen wir den Zustieg zu unserer Wand finden und stehen dabei schnell vor dem erstem Hindernis:
Ein stark zerklüfteter Gletscherbruch. Riesig hoch ragen weit aufklaffende Spalten vor mir in die Luft. Nach sechs Wochen auf dem Boot, finden wir uns direkt in der wilden, ausgesetzten Bergwelt wieder. Langsam arbeite ich mich vorwärts, immer nach Schnee und Eisbrücken suchend um die nächste Spalte zu überwinden.
Zum Teil klettern wir etwas herunter und dann ein paar Meter bis der Gletscher wieder flach wird und wir an den Fuß unserer Wand gelangen. Steil ragt sie über uns in den Himmel hinauf. Am liebsten wollen wir sofort losklettern, doch jetzt heißt es erstmal unser ganzes Material für solch eine anspruchsvolle Kletterei an den Wandfuß zu schleppen.
Zwei Tage lang verbringen wir damit schwere Rucksäcke zu tragen und kommen erschöpft in unser Basislager zurück. Doch wir gönnen uns nur wenige Stunden Schlaf und schon geht es am nächsten Tag wieder hoch. Wir schuften und schleppen um möglichst schnell in die Wand einsteigen zu können.
Und dann wieder ein Rückschlag: Entgegen der Vorhersage regnet es einen Tag länger und wir werden gezwungen zwei Tage im Basislager zu verbringen und wieder an unserer Geduld zu arbeiten. Immerhin bekommen wir Besuch von einem Eisbär, damit es uns nicht langweilig wird.
Ein eisbäriger Zwischenfall
Das große, majestätische Raubtier steigt plötzlich 50 m von uns entfernt aus dem Wasser und hievt sich auf unseren Strand, an dem wir gemütlich Frühstücken. Der Schreck ist zunächst groß, da wir nicht wissen wie er reagieren wird. Sekunden kommen uns vor wie eine Ewigkeit, der Eisbär schaut uns an und scheint genauso überrascht. Auf Nadias Ausruf: „l´ours!!!“, flüchtet er. Zu unserem Glück.
Aber er dreht sich immer wieder um uns zu beobachten und läuft geradewegs in das Tal unserer Wand bis er hinter der Moräne verschwindet. Wir waren auf solche Momente in Grönland vorbereitet und doch war es überraschend und lässt uns mit weichen Beinen zurück.
Endlich Klettern in Grönland
Dann endlich ein Tag Sonne und wir steigen zur Wand auf und klettern noch zwei Seillängen um die Felsqualität zu testen. Lange haben wir diskutiert und abgewogen, welche Linie wir klettern. Wir wissen, dass wir nur wenig Zeit haben und deswegen nur einen Versuch. Wir müssen direkt die Linie treffen, mit der wir durch die ganze Wand hindurchkommen. Mit dem Fernglas versuchen wir Risssysteme zu erahnen, die uns einen Weg durch die steile, blanke Wand ermöglichen und die nassen Wandteile möglichst gut umgehen.
Am nächsten Tag klettern wir in wechselnder Führung Seillänge um Seillänge weiter hoch. Während es am Anfang gut vorwärts geht, werden wir dann plötzlich ausgebremst: Die Wand wird steiler und die Risse enden zum Teil. Wir arbeiten uns langsam Meter um Meter vorwärts zum Teil im nassen Fels, zum Teil technisch.
Die Kletterei ist anspruchsvoll und fordert unsere vollkommene Konzentration. Aber genau diese Herausforderung haben wir gesucht und neben dem Adrenalin wird eine gute Portion Glückshormone ausgeschüttet.
Wir klettern bis wir platt sind und unser Statikseil zu Ende ist. Wir fixieren diese und seilen wieder auf den Boden zurück. Dort bekommen wir die neue Wettervorhersage geschickt und es wird klar wir haben nur noch 1,5 Tage Zeit bis der Schneesturm durchzieht.
Lange debattieren wir, welche Strategie am sinnvollsten ist um möglichst hoch in der Wand zu kommen. Uns scheint es unmöglich mit so wenig Zeit oben aus der Wand auszusteigen. Wir entscheiden uns mit minimalem Biwakmaterial in die Wand einzusteigen, damit wir möglichst leicht klettern können.
Erklimmen der unbestiegenen Ostwand des Northern Sun Spires
Und nur wenige Stunden später befinden wir uns schon wieder im Aufstieg an unseren Fixseilen und bald vor neuen Herausforderungen im steilen nassen und nicht immer gutem Fels, wodurch wir nur langsam vorwärtskommen. Beim Sichern am Standplatz wird es trotz Daunenjacken kalt und wir kämpfen stetig gegen die Müdigkeit an.
Die Wand scheint sich nicht zurück zu neigen und wir klettern von einem Hängestand zum nächsten. Als unsere Fotografin und beste Unterstützerin Ramona uns per Walky-Talky durchgibt, dass es über uns ein Felsband gibt, ist die Freude groß.
Und tatsächlich, noch eine weitere Seillänge und wir können auf den Füssen stehen und uns etwas ausruhen. Es ist schon 21 Uhr und wir sind müde von den anspruchsvollen Klettermetern, sodass wir beschließen hier zu biwakieren. Ausgesetzt weit über dem Gletscher mit unseren Portaledges in der Wand.
Am nächsten Morgen weckt uns der Wecker inmitten eines Nebelmeers auf, es ist kalt und feucht. Wir bangen, ob das schlechte Wetter wohl doch schon früher durchzieht!? Aber wir wollen trotzdem noch etwas weiter hinaufklettern, denn hier schaut der grönländische Fels endlich trocken und von bester Qualität aus. So ist es auch und wir kommen deutlich schneller voran.
Wir genießen beste Kletterei in orangem Granit umgeben von einem Meer aus Wolken. Immer mit einem kritischen Blick auf die sich aufbauende Wolkenfront klettern wir so schnell wie möglich weiter. Und dann nach sechs weiteren Seillängen legt sich plötzlich die Wand zurück und wir stehen auf dem Grat. Wir können es gar nicht glauben: Wir haben es tatsächlich geschafft!
Unsere Erstbegehung ist beendet. Die unbestiegene Ostwand des Northern Sun Spires durchstiegen und das nach allen Rückschlägen, Zweifeln und Herausforderungen. Wir fallen uns in die Arme und genießen einen Moment unglaublichen Glücks, bevor wir uns an das Abseilen machen.
Der Abstieg
Wir müssen jeden Abseilstand einrichten und sind damit zum Glück schneller als erwartet. Als wir am Abend wieder den Wandfuß erreichen, beginnt es zu regnen. Wir sind erschöpft. Noch können wir uns aber nicht ausruhen, sondern packen noch unser Material zusammen und steigen bis zu unserem Basislager ab. Dort fallen wir dann nach 24h nonstop endlich in unsere Schlafsäcke.
Von den Seglerinnen haben wir die Nachricht bekommen, dass sie einige schwerwiegende Probleme am Motor haben. Wir müssen so schnell wie möglich vor dem nächsten Sturm unsere Abreise aus Grönland beginnen.
Das heißt wir müssen so schnell wie möglich unser ganzes Material aus den Bergen holen. Über Nacht hat es geschneit. Es wird erneut eine Herausforderung den Weg über den Gletscher zu finden und die schweren Rucksäcke runterzutragen. Wir kommen vollkommen erschöpft an und schlafen zwischen unserem trocknenden Material am Strand ein.
Wir freuen uns extrem über das Wiedersehen mit den Seglerinnen, nachdem wir neun Tage getrennt voneinander unterwegs waren. Es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken und wir befinden uns schon wieder in unserer Routine der Wachen und segeln aus unserem Fjord in Richtung Island.
Die Rückreise von Grönland
Auch auf unserer Rückreise beschert uns das Wetter nicht mit besseren Bedingungen. Wir sitzen eine Woche in Grindavik, einem kleinen Dorf außerhalb von Reykjavik fest und warten darauf, dass die Stürme aufhören zu toben.
Eine Expedition geprägt von schlechtem Wetter, das uns viel Geduld gefordert hat. Gleichzeitig war es ein großes Abenteuer mit einem unglaublichen Team.
Drei Tage klettern während drei Monaten Expedition. Eine extrem lange Anreise für wenig Zeit in der Vertikalen und trotzdem hat es sich gelohnt und wir bereuen nichts.
Wir kommen um viele Erfahrungen und Herausforderungen reicher zurück von einer Expedition nördlich des Polarkreises.
Podcastfolge
Mehr Infos rund um die Expedition kannst du in der folgenden Podcast Folge nachhören: