Vom Highway biegen wir in ein unscheinbares Industriegebiet der Kleinstadt Bend im US-Bundesstaat Oregon. Irgendwo im Nirgendwo, wäre nicht das Weltklettergebiet Smith Rock gleich um die Ecke. Unterarme und Fingerkuppen brennen schon vom Klettern, da kommt die Firmenführung bei der amerikanischen Kultfirma Metolius wie gerufen.
Nach unzähligen Abzweigungen erreichen wir eine lange, in die Tage gekommene Halle mit hölzernen Dachschindeln. Keine Banner, keine Logos, nur ein kleiner Aufkleber an der Tür zum “Office” lässt uns wissen, dass wir hier richtig sind. Das “Worldheadquarter” von Metolius hat irgendwie Charakter. Ein deutliches Understatement, vielleicht eine Aussage… schließlich kommt es (wie beim Kletter-Equipment) auf den Inhalt an, nicht auf die Verpackung.
Von Kletterern für Kletterer
Eine Klingel gibt es nicht, die Tür ist nur angelehnt, also so treten wir ein. In einem kleinen Büro sitzen zwei Mitarbeiter – Marketingabteilung und Verkauf. Auf dem Schreibtisch stehen Hundeleckerlies anstatt einer Box Süßigkeiten wie in unseren Breiten – “um unsere Security bei Laune zu halten.”
In den nächsten 5 Minuten lernen wir mit Doug und Kent zwei der sechs Gründungsmitglieder von Metolius kennen. Die Firma ist nicht nur inhabergeführt, für Amerika völlig untypisch arbeiten die meisten Mitarbeiter seit vielen Jahren (wenn nicht sogar seit der Firmengründung im Jahre ’83) hier.
“Wir sind nur von einer kleinen Garage in eine etwas größere umgezogen”, scherzt Geschäftsführer Chip Miller. An der Wand zeigt er Fotos und Produkte von damals, “slider nuts” (verstellbare Keile) sowie Friends mit flexiblem Steg. “Es brauchte aber nicht nur innovative Sicherungsmittel,” erklärt uns Chip die Bedeutung von Metolius in Zusammenhang mit der amerikanischen Geburtsstunde des modernen Sportkletterns im nahegelegenen Smith Rock. “Es gab damals noch nicht einmal vernünftige Klettergurte!” Und damit viel Potenzial für innovative Produkte: Metolius produzierte was die Kletterer brauchten. Zu 100% von Kletterern für Kletterer. “Jeder in unserer Belegschaft ist oder war Kletterer auf höchstem Niveau”, erzählt Chip, selbst Spitzenkletterer, Steilwandskifahrer und Bikeprofi. Bis heute bewirbt man sich bei Metolius am besten mit einem exzellenten Ruf in der Kletterszene.
Qualität statt Quantität
“Genug Geschichte, auf zur Rundtour.” Noch nie hatte ich mir Gedanken über die Herstellung von Klemmgeräten gemacht, vielleicht bin ich deshalb so überrascht vor einem Regal mit Aluminiumstangen zu stehen? Schon erblicken die enttäuschten Augen hinter ein paar Fräsmaschinen riesige Wannen voller Klemmsegmente, was sich anfühlt wie Weihnachten.
“Wir sind die Einzigen, die Klemmsegmente fräsen, anstatt sie zu pressen oder zu gießen”, erklärt Chip stolz das Besondere an diesem Fertigungsverfahren. Nur so sei garantiert, dass die Segmente selbst nach vielen Jahren und wiederholtem Einsatz nicht brechen. Danach werden die Rohlinge gerüttelt, geschüttelt und poliert bis sie runde Kanten haben und glänzen.
Wir betreten den Bereich, wo Klemmgeräte zusammengebaut werden. Ein Mitarbeiter sitzt mit Rasierklinge und Kerze an einem Pult, schneidet und verödet Kevlarstücke für den Seilzug. Ein Anderer führt diese durch Klemmsegmente und verklebt sie, immer in einem Batch von 100 Stück. Es wird geschnitten, gezwickt, geklebt, getrocknet. Nirgends Fließbänder, Maschinen oder Roboter – alle Einzelschritte in aufwendiger Handarbeit!? Nach jedem Schritt wird jedes Stück kontrolliert und geprüft. Die Verblüffung ist groß, denn wie kann sich die Herstellung so rentieren? “Qualität über Quantität“, zwinkert Chip mir zu.
Wir klettern am Fels und nicht im Testlabor
Wenn einer weiß, wovon er redet, dann Chip. Mit diesen Worten bewegen wir uns in Richtung Test-Station. Hier wird zerstört, was nebenan gefertigt wird. Es fetzen Schlingen und es krachen Karabiner. Eine Maschine belastet Einzelstücke aus jedem Batch bis zur Zerstörung und kontrolliert die maximal erreichten Kräfte, um den Normen zu entsprechen. Je nach Produkt bedeutet das einen destruktiven Test von je 100 bis 200 Stück.
Mit einem lauten Knall fliegen die Zugarme der Maschine auseinander, ein Karabiner schaut nicht mehr “gesund” aus. Beruhigend zu wissen, dass selbst im schlimmsten Szenario nie solche Kräfte wirken, wie gerade eben. “Wobei Friends im Fels ohnehin nicht brechen, sondern ausreißen!” erklärt Chip. Deshalb vertraut man bei Metolius lieber auf einen wohl durchdachten Aufbau der Klemmsegmente: der geringe Winkel und die breite Fläche führen im Sturzfall zu einer deutlich höheren Haltekraft und größeren Auflagefläche und somit zu einer höheren Sicherheit. “Vorausgesetzt der Cam ist gut gelegt!” Eine Farbskala soll helfen: das Farbschema der Ampel zeigt, ob ein Friend zu offen gelegt und im Sturzfall ausreißen könnte.
Wir stehen mittlerweile vor langen Stangen mit bunten Friends und Keilen aller Größen… und wünschten jetzt dieses Arsenal in unseren Keller herüber beamen zu können.
Leben und leben lassen
Mit dem Satz “Übrigens alles ‘Made in USA’“, führt uns Chip in den nächsten Raum, wo er stichprobenartig den Aufdruck der Rollen mit Bandmaterial überprüft. “Darauf sind wir sehr stolz.” Gleich nebenan rattern die Nähmaschinen. Hier entstehen Schlingen, Standplatzschlingen, Steighilfen und vieles mehr. Unter Anderem die berühmten Metolius Portaledges, von denen zwei Exemplare an einer langen Wand lehnen. “Wir könnten viel mehr davon verkaufen, aber sie zu fertigen ist irre aufwendig und uns fehlt schlichtweg die Zeit” – so erklärt Chip warum die heiß begehrten Metolius ‘Biwaks’ vergleichsweise schwer zu bekommen sind.
“Dort hinten ist übrigens der Fluss namens Metolius, nach dem die Firma benannt ist”, zeigt Chip in die Ferne. Unsere Blicke fallen über eine Tischtennisplatte zum Horizont und wieder zurück zur Tischtennisplatte. “Manchmal muss man sich zwischendurch einfach mal die Hände lockern.”
Leben und leben lassen. “Leider werden viele unserer Ideen kopiert und dreist als eigene Innovation vermarktet”, schimpft Chip. Die Firmeneigentümer hingegen sehen das lockerer. Wer auf so viele gute Ideen und Produkte zurückblickt, kann gelassen bleiben: den flexiblen Schaft an Klemmgeräten, das Campusboard oder die 45 Grad überlappenden Kanten am Crashpad, um nur einige zu nennen…
Friends forever
Zurück im Office stehen plötzlich zwei Männer in der Tür. “Ich wollte diese alten Cams überholen lassen, aber der Versand wäre teurer gekommen, als sie persönlich vorbei zu bringen…” In der Hand hält er einen Strauß Klemmgeräte, die in meinen Augen eher ins Museum als an den Klettergurt gehören. Wider erwarten nimmt Kent die “Bestellung” an – “einmal rundum erneuern mit Austausch der Zugseile, erneuern der Bandschlingen und polieren der Klemmsegmente, kostet 8 Dollar je Stück und ist nächste Woche fertig.” Nachhaltiger geht es fast nicht. Und wieder fragen wir uns, wie sich das für die Firma rentieren kann – aber wir haben ja bereits gelernt, dass es darum nicht geht.
“Wollt ihr nicht ein paar Hexentrics mitnehmen?” fragt Kent die beiden Kunden. “Wie wär’s mit einem T-Shirt? Und einem Campusboard?” Die zwei Männer verlassen mit vollen Händen und einem breiten Lächeln das Metolius Worldheadquarter.
So unscheinbar das Gebäude von außen aussieht, das Innere hat sich als wahre Perle entpuppt. Selten findet man in der heutigen Zeit noch Firmen, bei denen Sport und Mensch derart im Vordergrund stehen. Metolius ist ein Haus mit Seele, eine Mannschaft voller Leidenschaft und Produkte, die auf die Bedürfnisse von Kletterern zugeschnitten sind.