Eisklettern und Skibergsteigen auf Senja, Norwegen

Inhaltsverzeichnis

Im März 2022 besuchte ich zusammen mit ein paar Kumpels aus der Reutlinger Gegend die Insel Senja im Norden Norwegens. Es ist nicht ganz einfach, die richtigen Worte zu finden, um diesem besonderen Ort gerechnet zu werden: Senja ist traumhaft schön, vor allem, wenn man in Winter auf einem Gipfel steht, die Wolken aufreißen und den Blick frei geben auf verschneite Berge, tief eingeschnittene Fjorde und das freie Meer. Oder aber nachts, bei klarem Wetter, wenn sich das faszinierende Schauspiel der Polarlichter zeigt. Senja steht für Ruhe, Entschleunigung und Naturverbundenheit und ist gleichzeitig ein Abenteuerspielplatz der Extraklasse für alle Alpinisten, in denen immer noch das Kind schlummert, das davon träumt, eine neue Welt zu erkunden.

Können Berichte wie dieser alles verändern? Ich denke nein. Obwohl Senja längst kein Geheimtipp mehr ist, wird es in seiner jetzigen Form – zumindest im Winter – nicht zum Anziehungspunkt für allzu viele Besucher werden. Es gibt keine Skigebiete oder ähnliches, nicht die Infrastruktur der klassischen Touristenziele. Während der zehn Tage, die wir auf der Insel verbrachten, trafen wir keine anderen Eiskletterer und sahen nur eine kleine Handvoll Skitourengeher.

Finnkona, Husfjellet und Luttinden von Süden. Foto F. Miller
Finnkona, Husfjellet und Luttinden von Süden. Foto F. Miller

Zwar findet man im Netz einige Informationen über die Tourenmöglichkeiten, die Senja im Winter bietet. Nach meinem Kenntnisstand gibt es aber keinen offiziellen Kletterführer und im norwegischen Skitourenführer „Ski Touring in Troms“ wird Senja auch nur gestreift. Deshalb hier ein paar Infos, Bilder und Erfahrungen, die wir bei unserer Reise gewinnen konnten. Martin, Hans, Markus, Hannes und ich kletterten einige beeindruckende Eisfälle und unternahmen teils sehr anspruchsvolle Skitouren wie die Befahrung des Luttinden Südcouloirs. Insgesamt hatten wir es mit wechselnden Bedingungen und sehr unterschiedlichem Wetter zu tun. Zum Teil regnete es auch, was aufgrund des außergewöhnlich milden Klimas dort selbst im Winter nicht ungewöhnlich ist. Es ist also wichtig, auf verschiedene Aktivitäten eingestellt zu sein, um dann vor Ort flexibel zu sein!

Infos Senja

Anreise

Die Anreise erfolgt typischerweise mit dem Flugzeug über Oslo nach Tromsø (mehr Flüge) oder nach Bardufoss (näher dran) und weiter mit dem Leihwagen nach Finnsnes, von wo eine Brücke auf die Insel führt. Dann ist es nicht mehr weit – nach Mefjordvær, wo wir untergebracht waren, noch ca. 1 Std. 15.

Ausgangspunkte und Unterkünfte

Wir hatten eine Ferienwohnung in Mefjordvær, einem schönen kleinen Ort am Fjord Mefjorden, am Ende der Straße, welche von Senjahopen Richtung Norden führt. Wir konnten direkt von der Haustür zu kleineren Skitouren aufbrechen. Am Bergkamm hinter dem Ort gibt es auch einige augenscheinlich sehr interessante alpine Mixedrouten.

In Mefjordvær befindet sich auch die Senja Lodge von Bergführer Bent Vidar Eilertson. Ursprünglich wollten wir dort wohnen, doch es gelang uns nicht, Kontakt mit Bent aufzunehmen. Nach Informationen von Ines Papert ist er aber vor Ort und man kann ihn über Facebook erreichen.

Senjahopen wäre auch eine Option – man fährt dann ein paar Kilometer weniger zu den Tourenzielen und es gibt einen kleinen Supermarkt im Ort. Mefjordvær ist aber schöner. Skaland liegt gut für die Ziele Rund um den Fjord Bergsfjorden. Weiter im Süden oder Südwesten der Insel gibt es weitere Orte und Gebiete, die wir nicht besucht haben und zu denen mir keine Informationen vorliegen.

Einkaufen

Auf der Insel gibt es kleinere Supermärkte – im Nordwesten der Insel, wo wir unterwegs waren, in Senjahopen und Skaland. Am besten kauft man alle haltbaren Lebensmittel schon bei der Anreise ein. Die letzten großen Supermärkte gibt es in Finnsnes (zum Beispiel einen großen Eurospaar). Reist man über Tromsø an, sollte man einen Einkauf im Duty-Free-Shop des Flughafens nicht auslassen (Einfuhrgrenzen von alkoholischen Getränken beachten!). Bei der Fischfabrik in Senjahopen kann man sehr günstig frischen Fisch erwerben. Dafür braucht man dann ein paar Kronen. In der Regel zahlt man aber alles mit der Karte.

Saison fürs Eisklettern, Winterbergsteigen und Skitourengehen

Februar und März sind die besten Monate für die hier beschriebenen Aktivitäten. Zu Beginn des Winters sind die Tage sehr kurz. Wegen des milden Klimas ist es Ende des Winters wahrscheinlich häufiger zu warm. Skitouren oder höher gelegene, nordseitige Routen könnten dann zwar gute Bedingungen aufweisen, viele Eisfälle liegen aber nahe am Meer. Anfang März 2022 fanden wir noch recht gute Eisbedingungen vor, obwohl es zuvor auch schon warm war. Eine Woche später kam dann ein erneuter Wärmeeinbruch, der viele Eisfälle zerstört hat.

Hesten, Stormoa und Finnkona mit seinem gewaltigen Eisfall. Foto M. Birkmann
Hesten, Stormoa und Finnkona mit seinem gewaltigen Eisfall. Foto M. Birkmann

Klima, Wetter und Wetterberichte

Das Wetter ist geprägt von schnellen Wetterwechseln, viel Niederschlag und natürlich auch Wind. Golfstrom, Nordatlantikstrom und Norwegischer Strom führen vergleichsweise warmes Wasser entlang der norwegischen Küste in Richtung Arktis und sorgen für ein mildes Meeresklima auf Senja. So regnet es auch im Winter des Öfteren, was man als Wintersportler natürlich nicht so gern sieht. Etwas höher in den Bergen – die Klimazonen liegen viel näher zusammen als in den Alpen – schneit es dann aber meist.

Empfehlenswert ist der Wetterbericht von yr.no. Einen schnellen Überblick bietet aber auch meteoblue.com, wo unter anderem der Ort Senjahopen angelegt ist, oder auch windy.com.

Schnee und Lawinen

Der norwegische Lawinenlagebericht deckt auch Senja ab – die Region ist Sør-Troms. Er darf nur als grobe Orientierung verstanden werden, da es kleinräumig große Unterschiede in der Schneedecke gibt und die Datenlage eher dünn sein dürfte. Wichtig ist also, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen und sich nicht zu schnell in kritisches Gelände zu wagen. Die gute Nachricht ist, dass es keine riesigen Steilhänge gibt und man das Gelände meist gut einsehen und einschätzen kann. So befinden sich auch oberhalb der Eisfälle eher selten größere Einzugsgebiete für Lawinen, zumindest in jenem Teil der Insel, den wir besucht haben. Hier geht’s zum norwegischen Lawinenwarndienst: https://www.varsom.no/en/avalanches/ (es gibt auch eine kostenfreie Smartphone App des Warndienstes).

Orientierung und Tourenplanung

Hilfreich ist die Wanderkarte Senja nord 1:50 000 vom norwegischen Verlag Nordeca. Und falls man vorhat, den südlichen Teil der Insel zu erkunden, dann natürlich auch die Karte Senja sør. Als Navigations-App kann man die norwegische Karten-App UT verwenden. Kleiner Hinweis zur App: Es ist nur Norwegen dargestellt, drumherum ist alles schwarz, und man kann auch keine andere als die norwegische Sprache einstellen – dafür alles kostenlos.

Etwas einfacher in der Anwendung die Outdooractiv- bzw. Alpenvereinaktiv-App in der Pro oder Pro+ Variante. Mit diesen Apps hat man die nötigen Karten inkl. Hangneigungslayer dabei. Außerdem hilfreich ist die PeakFinder App.

Blick vom Stormoa zum Bergsbotn. Foto F. Miller
Blick vom Stormoa zum Bergsbotn. Foto F. Miller

Es gibt einen Skitourenführer in englischer Sprache: Ski Touring in Troms, 116 Arctic Summits, Fry Flit Verlag. Wenn man noch andere Gebiete besuchen will, ist der Führer allemal empfehlenswert. Allein für Senja bringt er nicht so viel, da nur ein paar wenige Touren beschrieben sind.

Einen richtigen Eiskletterführer gibt es für Senja (noch) nicht. Man findet aber einige Infos im Netz, wie den „Mini Guide“ (PDF) von Bent Vidar Eilertsen in englischer Sprache. Dieser gibt eine gute Übersicht über die Gegenden, wo man auf der Suche nach Eisfällen fündig werden kann. Die meisten Fälle zeigen sich dann von der Straße aus.

Mobilfunk-Abdeckung

Wir hatten überall gutes Netz. Zumindest im Nordteil der Insel braucht man kein Satphone oder InReach.

Hannes im unteren Teil des Finnkona Eisfalls. Foto F. Miller
Hannes im unteren Teil des Finnkona Eisfalls. Foto F. Miller

Ausrüstung

Wie bereits erwähnt ist es gut, wenn man einigermaßen breit aufgestellt ist und dann vor Ort auf die aktuellen Bedingungen reagieren kann. Hier eine kleine, natürlich unvollständige Ausrüstungsliste:

  • Gute Hardshellkleidung, um dem Wetter zu trotzen
  • Skibrille, die sich auch fürs Klettern eignet und mit dem Kletterhelm funktioniert
  • Skirucksack für Tagestouren + größerer Tourenrucksack, in den auch die Bergstiefel passen
  • Allround-Skitourenausrüstung mit eher leichten Skischuhen
  • Robuste Faltstöcke mit ausreichend großen Tellern
  • LVS-Ausrüstung + die übliche Notfallausrüstung
  • Schneesäge + ECT-Cord
  • Die übliche Eiskletterausrüstung inkl. 12 Eisschrauben und 60-m-Halbseilen
  • Etwas Felsausrüstung fürs Mixedklettern/Winterbergsteigen (Keile, Hexentrics, Cams, ein paar Haken, Pecker und evtl. 2 Spectre sowie etwas Material zum Einrichten von Abseilstellen)
  • Zusätzlich zur Eiskletterausrüstung: Steigeisen + Pickel für Skitouren/fürs Winterbergsteigen

Tourentipps Senja (Winter)

An dieser Stelle eine Auswahl von Touren, die wir gemacht haben – klar, dass es sich nur um einen minimalen Ausschnitt handelt! Wir waren überwiegend mit den Tourenski unterwegs und sind an gefrorenen Wasserfällen geklettert. Darüber hinaus bietet Senja unzählige Möglichkeiten im Bereich des Winterbergsteigens und Mixedkletterns!

Eisklettern

Eisfälle im Gebiet Ersfjord

Hier finden sich unterschiedlichste Routen auf kleinem Raum, überwiegend nahe der Straße und gut einsehbar. Darunter sind auch einige moderate Eisfälle, die sich gut zum Einklettern eignen.

Hesten Eisfall, ca. 380 m bis WI5 (linke Variante) oder WI 4+ (rechte Variante), davon jeweils ca. 50 m Schnee im Mittelteil

Dieser größere Eisfall in der Westsüdwestwand des Hesten zählt sicherlich zu den besten Linien im mittleren Schwierigkeitsbereich. Nach einer Einstiegsrampe, welche man seilfrei von rechts nach links hinauf steigt, erreicht man den markanten Eisfall, der sich im Mittelteil dann gabelt. Die linke Variante ist die schwierigere. Es ist ein Ausstieg auf ein cooles Gipfelplateau möglich sowie der Weiterweg zum Hauptgipfel des Hesten (865 m). Abstieg: Abseilen über den Fall. Ausgangspunkt: Der Parkplatz beim Aussichtssteg oberhalb des Bergbotn.

Finnkona Eisfall, 240 m bis WI 6+ und M3-4 (plus ca. 250 m bis WI 3-4 im Zugang)

Beim Abseilen über den Finnkona Eisfall. Foto F. Miller
Beim Abseilen über den Finnkona Eisfall. Foto F. Miller

Der Finnkona Eisfall zählt wegen seiner atemberaubenden Lage ohne Frage zu den coolsten und imposantesten WI-6-Eisfällen, die ich je gesehen habe. Mit Ausstieg auf den Gipfel des Finnkona und bedingt durch den nicht ganz einfachen Zugang lässt sich die gesamte Unternehmung ebenso im Bereich des Winterbergsteigens einordnen. Die Linie verläuft unübersehbar in der Nordwand des Finnkona, 744 m, direkt oberhalb des Bergsfjorden bzw. Bergsboten, wie er im hinteren Teil heißt.

An der Wand gibt es mehrere Routen bzw. Varianten. Bekannt wurde vor allem die Mixedroute „Finnmannen“ (M9+ WI7, 400 m, trad) von Ines Papert und Local Bent Vidar Eilertsen aus dem Jahr 2013. Der klassische Finnkona Eisfall verläuft links dieser Route.

Der Zustieg funktioniert wohl am besten per Boot. Bei halbwegs guter Schneelage kommt man aber – so wie wir es gemacht haben – auch mit Tourenski zum Einstieg (zumindest, wenn man die Bretter im Griff hat). Der Zugang zum eigentlichen Eisfall erfolgt über 100 m eher einfaches Eis (WI 3-4), 150 m Schnee (ca. 40°) und einer Mixed-Seillänge (40 m, M3-4, etwas heikel). Danach folgen Rund 200 m exponierte Eiskletterei, für die man durchaus den Grad WI 6+ auswerfen kann. Natürlich nicht für jede Länge, aber der Mittelteil hat es wirklich in sich: Man klettert hier in einem vertikalen Labyrinth aus Höhlen, Eisdächern und sogar Tunnels, welche sich zwischen Fels und Eis befinden.

Skitouren und Skibergsteigen

Skitour Husfjellet 632 m von Skaland

Eine kurze, einfache Skitour auf einen tollen Aussichtsberg. Diese Tour geht auch bei kritischen Bedingungen oder schlechtem Wetter. Wir sind vom Parkplatz der Kirche gestartet. Der Aufstieg erfolgt von Skaland im Bereich des Wanderweges (siehe Karte).

Markus, Martin, Hans und Hannes am Gipfel des Grytetippen. Foto F. Miller
Markus, Martin, Hans und Hannes am Gipfel des Grytetippen. Foto F. Miller

Skitour Keipen 938 m und Grytetippen 885 m von Süden

Tolle Skiberge, vom Gipfel fantastische Aussicht zum Meer. Wir sind zunächst zum Grytetippen, über die Aufstiegsroute abgefahren bis ins flache Gelände auf knapp 500 m und dann weiter zur Aufstiegsroute des etwas höheren Keipen. Ausgangspunkt ist der Grytetippen Trail Head, 3 km östlich von Mefjordbotn.

Skitour Stormoa 975 m von Süden

Ein formschöner, steiler Gipfel! Zunächst schönes, mäßig steiles Skigelände, dann steilere Hänge und zuletzt mit Steigeisen und Pickel über den Südgrat zum Gipfel. Bei guten, absolut sicheren Bedingungen ist eine Überschreitung mit Abfahrt über die sehr steile Ostflanke möglich. Zugang: Vom Bergsbotn weiterfahren in südlicher Richtung und durch den Tunnel. Ausgangspunkt ist der Parkplatz, welcher sich gleich nach dem Tunnel auf der linken Seite befindet.

Skitour Luttinden 759 m über Südcouloir

So kurz diese Tour auch sein mag: Sie hat es in sich! Das markante Südcouloir sticht sofort ins Auge. Ganz so steil, wie es in der Draufsicht erscheint, ist es zum Glück nicht – es sind „nur“ gut 40°. Achtung: Die Felsen im Gipfelbereich können vereist sein. Für diese Tour braucht man Steigeisen und Pickel! Ausgangspunkt ist die Straße entlang des Bergsbotn (kaum Parkmöglichkeiten). Der Anstieg erfolgt zunächst ein Stück rechts des Baches Lutelva. Kurz vor dem kleinen See Lutvatnet haben wir dann auf die linke Seite gewechselt. Das Ziel ist nicht zu verfehlen! Der linke (westliche) Gipfel ist der höhere.

Die letzten Meter zum Gipfel des Luttinden. Foto F. Miller
Die letzten Meter zum Gipfel des Luttinden. Foto F. Miller

Text: Fritz Miller, März 2023

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Bergfreund Fritz

Zum Klettern und Bergsteigen kam ich, weil etwas wie eine große Faszination für die steile Welt in mir verankert ist (und durch ein paar Zufälle). Sicher ist es zu viel zu früh für ein Fazit. Aber wenn ich auf meine mittlerweile rund 25 Kletterjahre zurückblicke, denke ich, dass ich den Bergen und Wänden viel zu verdanken habe.

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